Zu Besuch (V) – William Turner in Münster

Zum Ausklang des vergangenen Jahres fuhr man in Westfalen noch einmal große Geschütze auf: Der Maler William Turner (1775-1851) hielt als Leihgabe Einzug in das Museum in der westfälischen Domstadt.

Mit atemberaubenden Ausstellungen hält sich das LWL-Museum für Kunst und Kultur in Münster erfahrungsgemäß zurück. Ein letztes künstlerisches Highlight war vor etlichen Jahren die Ausstellung über den Illustrator aus dem George-Kreis Melchior Lechter, die ich allerdings selbst nur durch den dazugehörigen Ausstellungskatalog kennenlernen durfte. Umso erwähnenswerter ist es nun, dass der Ausstellung über „Englands größtem Maler“ (Roger Scruton) ein Zitat des konservativen Philosophen Edmund Burke vorangestellt wird.

Unter dem Titel „Horror and Delight“ konnten die Gemälde des Briten begutachtet werden. Im Zentrum der Ausstellung stand dabei das späte landschaftsmalerische Werk Turners, seine Reisen „in die Schweiz und nach Italien, seine Begegnung mit den Alpen und der arkadischen Landschaft Italiens.“

Nicht als einziger nutzte ich meine Stippvisite in der alten Heimat während der Rauhnächte, um mir die Leihgaben aus dem Museum Tate Britian im Original anzuschauen. Meterlange Warteschlangen bildeten sich vor dem gegenüber dem Dom gelegenen Museum. Beinah hätte man den Eindruck gewinnen können, ganz Westfalen sei auf den Beinen, um den „bedeutendsten britischen Landschaftsmalers der Romantik“, wie es im offiziellen Ankündigungstext heißt, in den Blick zu nehmen. Neben einigen wenigen positiv hervorzuhebenden kulturaffinen Familien dominiert vor allem eine Personengruppe den Kassenbereich: Grauköpfe mit Rentenanspruch. Nichts neues leider. Rentner in rauen Mengen gehören zwar weniger zu meiner bevorzugten Gesellschaft, aber es ist auch quantitativ nicht zu verkennen, dass ein Bedürfnis nach Kultur und Schönheit zurückkehrt.

Bestattung auf See, 1842.

Nicht zu Unrecht gilt Turner als ein Wegbereiter der Moderne, der durch sein progressives Schaffen und eine große Menge an malerischer Gelehrsamkeit die Grenzen der britischen Romantik auslotete, ohne jedoch dabei die Grenzen des guten Geschmacks zu überschreiten. Auch wenn die britischen Manifestationen der Romantik deutlich schwerfälliger und düsterer daherkommen als die deutschen, sind erste impressionistische Elemente im Werk Turners nicht zu übersehen. So gelingt es der Ausstellung, einen ansehnlichen Querschnitt aus den früheren, klassischen Landschaftsbildern Turner und seinen späten Farb- und Lichtspielen zu geben. Früh war Turner von dem Ehrgeiz ergriffen, einmal im nationalen Pantheon der Briten, der National Gallery, aufgenommen zu werden, unterwarf sich aber nur selten Konventionen – und das sieht man.

Um einen inneren Wandel im Schaffen Turners beobachten zu können, muss man freilich kein Kunsthistoriker sein. Und folgt man den Ausstellungstexten, so lässt sich dieser Wandel Turners auf seine mehrfachen Aufenthalte in Italien zurückführen, die ihm eine neue Wahrnehmung von Licht eröffneten und somit zur Emanzipation von der klassische Landschaftsmalerei beitrugen. Seiner neuartigen Darstellung von Licht und Farbe wohnt dabei eine faszinierend eigene Kraft inne, die jene ausgestellten Bilder so außergewöhnlich macht. Dabei unterlag Turner nur einem sich selbst auferlegtem Diktum: dem „Einfangen des wahren und unmittelbaren Wesens der Natur“. Neben der Darstellungsform kommt allerdings noch ein symbolisches Element hinzu, das in allen Werken mitschwingt und zugleich ein wichtiges Sujet des damaligen britischen Zeitgeistes war: Der sich androhende Vollzug der Apokalypse.

Sonnenuntergang über einem See, 1840.

„Horror and Delight“ bezeichnet im Sinne Edmund Burkes die wirkmächtige und beängstigende Seite der Natur. So findet auch in die Malerei die durch Burke geprägte Kategorie des Erhabenen Eingang. Das Erhabene sei das Mächtige, das Raue, das Dunkle und Grenzenlose, so Burke, denn diese Gefühle ergreifen den Betrachtenden durch die Konfrontation mit der Gefahr, etwa durch einen „genussvollen Schrecken.“ Doch dieses genussvolle Betrachten des Untergangs wird nur durch den Sicherheitsabstand ermöglicht, den die Leinwand gewährleistet. Dadurch wird die Natur ästhetisiert, das Phänomen der Romantik schlechthin.

Obgleich bei Turners Zeitgenossen John Martin, von dem ebenfalls einige aufsehenerregende Leihgaben bereitgestellt wurden, die Apokalypse vor allem dunkel und schreckenerregend daherkommt, zeigt sich der Untergang in Turners Werk in einem gänzlich anderen Gewand. Vielmehr wandelt sich das apokalyptische Motiv der ursprünglichen Zerstörung, die offenbar den Menschen wieder der Natur entwirft, auf eine andere Weise dramatisch. Bei Turner verblassen die Farben und das Licht erlischt. Ohnehin verlieren die dominierenden Objekte Himmel und Wasser nahezu vollständig ihre eigene Form, sie stehen kurz vor der endgültigen Auflösung. Turner befindet sich dadurch auf der letzten Vorstufe zur Abstraktion, ohne sich ihr jedoch vollständig zu ergeben.

John Martin, The Deluge, 1834.

Turner. Horror and Delight. Im LWL-Museum für Kunst und Kultur, Münster.

Abbildungen: Tate Britian (privat aufgenommen).

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