Roger Scruton: Die Fähigkeit zur Betrachtung

Roger Scruton war das, was er selbst als einen konservativen Intellektuellen bezeichnete: Jemand, der die Gründe dafür artikuliert, keine Gründe zu brauchen. In der vergangenen Nacht erlag der wohl eloquenteste aller zeitgenössischen konservativen Denker einem Krebsleiden.

Symbolisch für Scrutons Haltung zur Welt war sein gelassenes Zurückgelehntsein im Sessel. Man kann es in seinen Interviews beobachten. In einer Zeit voller Ismen, die auf unterschiedliche Weise durch Radikalität eine ideale Welt zu formen suchen – so seine Kritik –, war Scruton ein teilnehmender Beobachter, rückgebunden an die Gültigkeit ewiger Wahrheiten. Sein Konservatismus war keine Ideologie, sondern ein ‚way of being‘, wie er selbst sagte.

Zeit seines Lebens war Scruton auf der Suche nach dem Kern dessen, was das konservative Dasein eigentlich ausmacht – und das ist mehr, als eine liberale Wirtschaftspolitik zu rechtfertigen oder sich in die Gegnerschaft zum Zeitgeist zu begeben. Dabei deckte Scruton in all seinen Publikationen auf, dass wir in einer ‚spirituellen Wüste‘ leben, die zuvorderst aus einem Verlust des Sinns für Schönheit, Wahrheit und Güte resultiert. Zugleich zeigt er uns einen Weg, der aus dieser Wüste hinausführen kann.

 „Schönheit ist real und ein universeller Wert, verankert in unserer Beschaffenheit als vernunftbegabte Wesen. Schönheit spielt eine zentrale Rolle bei der Gestaltung des menschlichen Kosmos.“

Mit einer edlen Einfachheit betastete Scruton die Dinge, die die Welt ausmachen: Beständigkeiten, die nicht geändert werden können und das Wesen des Menschen zeitübergreifend prägen. Nicht zuletzt deshalb ist der Mensch auch immer eingebunden in die Ewigkeit und durch das konkrete In-der-Welt-Sein selbst auch ein Teil der ewigen Ordnung. Weltdeutungsanschläge unterschiedlichster Couleur bedrohen, so Scruton, diese Ordnung.

Auch wenn der Mensch als ein mit ästhetischen Bedürfnissen ausgestattetes Wesen Bestand haben wird, haben es die Formen, die Ausdruck dieser Bedürfnisse sind, nicht. Gemeint sind die abendländische Kultur und ihre Errungenschaften, manifestiert in Architektur, Malerei, Musik und Religion. Für Scruton ging der Verlust der Schönheit mit einem Verlust von Lebenssinn einher, denn das Leben ist Chaos und bedarf einer sinnstiftenden Ordnung.

Öffentlich trat Scruton für ein konservatives Denken ein, das sich vor allem dadurch auszeichnet, sich gegen den Relativismus zu richten, der den abendländischen Schönheitsbegriff aushöhlt und alle Wertvorstellungen als rein subjektiv degradiert. Besonders gut veranschaulicht ist diese Haltung in der Dokumentation „Why Beauty Matters?“. Scruton zeigte hier, wie die Schönheit auf Kosten einer notorisch gewordenen Hässlichkeit aus unserem Alltag verschwinden musste. In einem seiner bekanntesten Bücher, „Schönheit. Eine Ästhetik“, das als eine der wenigen seiner rund 50 Publikationen auch ins Deutsche übersetzt wurde, definiert Scruton die Schönheit als einen realen und universellen Wert, dessen der Mensch bedarf und der daher keinerlei Begründung nötig hat.

„Freude entsteht, wenn wir etwas tun, was nicht einfach Mittel zu einem Zweck ist, sondern einen Zweck in sich selbst hat, und wir uns um diesen Selbstzweck herum mit anderen zusammenfinden, die sich ihm in gleicher Weise verbunden fühlen wie wir selbst. In diesem miteinander geteilten Gefühl von Verbundenheit kommt die Achtung gegenüber unserer vernünftigen Natur zum Ausdruck und es bestärkt uns im Wissen um unsere Freiheit.“

Als Roger Scruton Michelangelos ‚Pietà‘ zum ersten Mal betrachtete, beobachtete er an sich selbst, was die moderne Kunst heute nicht mehr vermag – nämlich den Betrachter durch reine Schönheit zu ergreifen und zu verändern und ihn letztlich als einen anderen Menschen zurückzulassen.

Roger Scruton war ein konservativer Vordenker im wahrsten aller möglichen Sinne: Ein Betrachtender, fähig und bereit dazu, sich ergreifen zu lassen von der Schönheit der Dinge; ein Sinnender, durch das Ergriffensein rückgebunden an die Seele der Welt. Roger Scruton zeigt uns einen Weg zurück in ein sinnvolles Leben, das sich durch das Sinnen und das Betrachten auszeichnet. Ein Weg, der vor unwiderbringlichen Verlusten bewahrt.


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