Verschüttete Stimmen (III): Friedrich Hagen

Über Friedrich Hagen (1903–1979) las ich bei Jean Gebser: „Seine Dichtung ist ursprüngliche, geläuterte Dichtung, frei von allem Ballast des Vergangenen. Es sind Verse reiner Aussage: ein Wahrgeben, kein Evozieren; manche von einer bisher kaum erreichten Schwerelosigkeit und Durchsichtigkeit, die sich zu jener ‚universellen Bewußtheit‘ erhebt, welche Hagen für die Dichtung Paul Eluards nachweist.“

Dem Hinweis des Kulturphilosophen nachgehend, erwarb ich antiquarisch die Sammlung der Gedichte von Friedrich Hagen, die ein Jahr nach seinem Tod erschienen ist, und wurde rasch in den Bann dieser Verse gezogen. In den kristallinen Schöpfungen Hagens zeigt sich der Einfluss der französischen Surrealisten Paul Eluard und Jean Cocteau, die er auch übersetzt hat. Seine bevorzugte Form war der Achtzeiler, bei dem viermal zwei Verse zu einem Ganzen gruppiert sind. Unten sind dafür zwei Beispiele aus dem Werk dieses vergessenen Dichters zu lesen.

Der in Nürnberg Geborene emigrierte 1933 nach Frankreich, wo er sich während des Krieges der Résistance anschloss. Von vielen seiner Gedichte schrieb er sowohl deutsche als auch französishe Fassungen. Friedrich Hagen verstand sich als Vermittler zwischen den verfeindeten Nationen. Als Anhänger von Ludwig Feuerbach betrachtete er den Menschen als göttlich; seine Hoffnungen setzte er auf den Marxismus, der ihm Gerechtigkeit und weltweiten Frieden zu verheißen schien. In seinem Essay über Eluard schrieb Hagen: „Die Vision des Dichters durchdringt das Fruchtfleisch der Gegenwart, um in ihrer Mitte den Samen der Zukunft zu entdecken.“

Glücklicherweise ist die dichterische Imagination und Kraft von Friedrich Hagen stärker als die Ideologien und politischen Programme, denen er sich verpflichtet fühlte – besonders dort, wo seine Gedichte das Leiden an der Unmenschlichkeit der Welt thematisieren oder auch einen zukünftigen Frieden, eine Einigkeit der Menschen beschwören. Diese beiden Themen sind beispielhaft dargestellt in den beiden hier vorgestellten Achtzeilern, die von der langweiligen Eindeutigkeit politischer Parolen wegführen zum Spiel der Vieldeutigkeit und der Fantasie.

Wund sind meine Lippen vom Schweigen
über den Meeren der Leere
 
ferner als alle Säulen des Lichts
blüht auf allen Mündern dein menschliches Wort
 
in dieser Welt ohne Gesicht
ohne Mitleid und ohne Menschen
 
auf welchen Lippen lasse ich jetzt o sagt mir
die dunkle Wunde meines Mundes ruhen
 
 
Von wieviel Stirnen erhebt sich der Wind
in wieviel Augen die Bläue der Bäume
 
wir sind nicht allein in den Wurzeln der Räume
und sind wir die Zeugung so sind wir das Kind
 
aus wieviel Quellen steigt einer heraus
auf wieviel Schultern ruhen die Tage
 
und sind wir die Antwort so sind wir die Frage
und sind wir die Steine warum nicht das Haus

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