Hölderlin (V) – Der Jüngling an die klugen Ratgeber

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Friedrich Hölderlin im Jahr 1792.

Die Erziehung zu einem respektablen Bürger einer Gesellschaft bringt unumgänglich auch einen Verlust von Freiheit mit sich. Doch der Jüngling kann sich noch wehren, denn er weiß von seiner überirdischen Herkunft aus dem Äther.

Der Gegensatz von Knechtschaft und Freiheit ist ein zentrales Thema von Hölderlins Dichtung. Das zeigte sich bereits in dem Gedicht „Die Eichbäume“, und es wird nun in „Der Jüngling an die klugen Ratgeber“ erneut sichtbar. Der von Hölderlin verehrte Jean-Jacques Rousseau schreibt zu Beginn seines Buches „Vom Gesellschaftsvertrag“: „Der Mensch ist frei geboren, und überall liegt er in Ketten.“ Wenn dieser Satz wahr ist, dann stellt sich die Frage, wann und wie das freie Kind (verherrlicht von Hölderlin etwa im „Hyperion“ und in dem Gedicht „Da ich ein Knabe war“) zum geknechteten Erwachsenen niedergebeugt wird. Es ist das Jünglingsalter, in dem sich dieser beklagenswerte Vorgang ereignet, vielleicht ereignen muss. Und er ereignet sich in der Erziehung des Jünglings zum respektablen Bürger. Seine Erzieher sind – unter anderem – jene „klugen Ratgeber“, die ihm nahelegen, sich einzufügen, zu mäßigen und anzupassen.

„Zum Joch ist nicht der Herrliche geboren, / Der Genius, der aus dem Aether stammt“ – und doch muss dieser Genius, mit einem Ausdruck aus „Die Eichbäume“, in die „Schule der Menschen“ gehen und wird dort im schlimmsten Fall zu einem Philister geformt, der den Alpträumen der deutschen Romantiker entsprungen sein könnte. Kein Wunder, dass der Jüngling, der noch von seiner überirdischen Herkunft aus dem Äther weiß, sich dagegen wehrt. Kein Wunder, dass der „Schwärmer“ sich dagegen sträubt, wenn ihm die Flügel gestutzt werden sollen: „Macht mich nicht den Knechten untertan.“

Wäre der Mensch nur Kind seiner Eltern und seiner Zeit, dann wäre das Klügste, was er tun könnte, sich möglichst weitgehend an diese Zeit anzupassen. Aber in ihm lebt ein Funke des Göttlichen, der ihn über seine Zeit und ihre Mittelmäßigkeit hinaus etwas Höherem entgegentreibt – ein Funke des Schöpferischen, der in der Seele ein Feuer entfachen kann. Die Stimmung schöpferischer Neuanfänge hat Hölderlin wunderbar mit dem Neologismus „feurigfroh“ in ein Wort gebannt. Der Jüngling in dem Gedicht spricht auch davon, dass ihm die Seele „entbrennt“, dass ihn ein Gott „entflammt“. Diese Feuer-Metaphorik erinnert an Nietzsches Gedicht „Ecce homo“: auch hier das Aufrufen einer edlen Herkunft und einer unzähmbaren Feuernatur.

Der aus dem Äther stammende Genius muss zwangsläufig in die Niederungen seines Jahrhunderts hinabsteigen, aber nur, um sich kurz darauf wieder darüber zu erheben: „Doch hebt er heitrer bald sein leuchtend Haupt.“ Die „klugen Ratgeber“, die den Genius despektierlich als „Schwärmer“ bezeichnen, wollen ihn in ihre engen Konventionen einschnüren. Diese Enge vergegenwärtigt Hölderlin in verschiedenen Bildern: einem Flussbett, Ketten, einem Joch, „Scherben“ (ein umgangssprachlicher Ausdruck für Blumentöpfe). Doch wie ein reißender Strom das Flussbett und ein gewaltiger Baum jeden Blumentopf sprengt, wie ein edles Pferd sein Joch und seine Ketten abschüttelt, so verfährt der Genius mit den Konventionen des Gesellschaftslebens.

All dies zusammenfassend, gebraucht Hölderlin im letzten Vers des Gedichtes die Chiffre „Natur“. Hölderlins Begriff der Natur ist spinozistisch, pantheistisch zu verstehen. Er umfasst das Unverbogene, Authentische, Ursprüngliche, das für Hölderlin identisch ist mit dem Freien, Schönen, Erhabenen und Göttlichen. Als solches ist die Natur allumfassend, Prinzip der Einheit oder Einigkeit alles Seienden, die sich, nach den Schlussworten des „Hyperion“ auch in den „Dissonanzen der Welt“ verwirklichen kann und soll. Ebenso soll der Genius seine hohe Sendung in den Niederungen seines Jahrhunderts zur Geltung bringen, und zwar auch gegen die Ermahnungen der „klugen Ratgeber“.

Der Jüngling An die klugen Ratgeber

Ich sollte ruhn? Ich soll die Liebe zwingen,
Die feurigfroh nach hoher Schöne strebt?
Ich soll mein Schwanenlied am Grabe singen,
Wo ihr so gern lebendig uns begräbt?
O schonet mein! Allmächtig fortgezogen,
Muß immerhin des Lebens frische Flut
Mit Ungeduld im engen Bette wogen,
Bis sie im heimatlichen Meere ruht.

Des Weins Gewächs verschmäht die kühlen Tale,
Hesperiens beglückter Garten bringt
Die goldnen Früchte nur im heißen Strahle,
Der, wie ein Pfeil, ins Herz der Erde dringt.
Was sänftiget ihr dann, wenn in den Ketten
Der ehrnen Zeit die Seele mir entbrennt,
Was nimmt ihr mir, den nur die Kämpfe retten,
Ihr Weichlinge! mein glühend Element?

Das Leben ist zum Tode nicht erkoren,
Zum Schlafe nicht der Gott, der uns entflammt,
Zum Joch ist nicht der Herrliche geboren,
Der Genius, der aus dem Aether stammt;
Er kommt herab; er taucht sich, wie zum Bade,
In des Jahrhunderts Strom und glücklich raubt
Auf eine Zeit den Schwimmer die Najade,
Doch hebt er heitrer bald sein leuchtend Haupt.

Drum laßt die Lust, das Große zu verderben,
Und geht und sprecht von eurem Glücke nicht!
Pflanzt keinen Zedernbaum in eure Scherben!
Nimmt keinen Geist in eure Söldnerspflicht!
Versucht es nicht, das Sonnenroß zu lähmen!
Laßt immerhin den Sternen ihre Bahn!
Und mir, mir ratet nicht, mich zu bequemen,
Und macht mich nicht den Knechten untertan.

Und könnt ihr ja das Schöne nicht ertragen,
So führt den Krieg mit offner Kraft und Tat!
Sonst ward der Schwärmer doch ans Kreuz geschlagen,
Jetzt mordet ihn der sanfte kluge Rat;
Wie manchen habt ihr herrlich zubereitet
Fürs Reich der Not! wie oft auf euern Sand
Den hoffnungsfrohen Steuermann verleitet
Auf kühner Fahrt ins warme Morgenland!

Umsonst! mich hält die dürre Zeit vergebens,
Und mein Jahrhundert ist mir Züchtigung;
Ich sehne mich ins grüne Feld des Lebens
Und in den Himmel der Begeisterung;
Begrabt sie nur, ihr Toten, eure Toten,
Und preist das Menschenwerk und scheltet nur!
Doch reift in mir, so wie mein Herz geboten,
Die schöne, die lebendige Natur.

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