Verschüttete Stimmen (V): Quirinus Kuhlmann

Und zuletzt, des Lichts begierig,

Bist du, Schmetterling, verbrannt.

Diese Verse aus Goethes „Selige Sehnsucht“ passen auf den Barockdichter Quirinus Kuhlmann (1651–1689). Sie sind angesichts von dessen Schicksal aber nicht metaphorisch, sondern erschreckend wörtlich zu verstehen: Kuhlmann ist vermutlich der einzige deutsche Dichter, der wegen Ketzerei auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde. Daran hatte seine entfesselte Verskunst einen gewissen Anteil, denn in ihr betrieb er eine fanatische Selbstvergottung. Kühlpsalter von Quirinus Kuhlmann ist mit dem Anspruch geschrieben, eine heilige Schrift, ein drittes Testament nach dem Alten und dem Neuen Testament zu sein. Wer ihn liest, hat den Eindruck, dass Kuhlmann sich in Rausch und Ekstase schrieb. Die althergebrachte Sprache ist ihm dafür niemals genug, er durchsetzt seine Verse mit Neologismen wie „Abgrundschlund“, „Erdhyäne“, „Weltsirene“ und „davidisieren“ (d. h. „Psalmen singen wie David“).

Kuhlmanns äußerer Lebensgang war, einem Ekstatiker entsprechend, sehr unstet. Wie sein deutlich älterer Dichterkollege Angelus Silesius (1624–1677) wurde Kuhlmann im schlesischen Breslau geboren. In Leiden begeisterte er sich für die Schriften Jacob Böhmes. Nach einer Station in Amsterdam wurde Kuhlmann zunächst in London heimisch und fand dort Anhänger seiner Ideen, die er fanatisch, mit nahezu wahnsinnigem Sendungsbewusstsein und missionarischem Eifer zu verbreiten suchte. Einmal unternahm er sogar den Versuch, nach Konstantinopel zu reisen, um den türkischen Sultan für sich zu gewinnen. 1689 machte Kuhlmann sich nach Russland auf, um dort für seine Ideen zu missionieren. Ein lutherischer Pastor denunzierte ihn, Kuhlmann wurde wegen Ketzerei festgenommen, gefoltert und schließlich verbrannt.

Wie alle in dieser Reihe vorgestellten verschütteten Stimmen hatte auch Quirinus Kuhlmann bedeutende Fürsprecher. Nach seiner Wiederentdeckung im 20. Jahrhundert setzten sich etwa Erich Trunz (der Herausgeber der Hamburger Goethe-Ausgabe), Hubert Fichte und andere für sein Werk ein. Ihre Fürsprache beweist, dass das Feuer von Kuhlmanns Versen auch heute noch Leser entzünden kann – natürlich rein metaphorisch, denn das schreckliche Schicksal des verbrannten Dichters bleibt seinen Lesern glücklicherweise erspart.

Aus dem Kühlpsalter: Der 1. Gesang

1.
Libhold ging unlängst spatziren
Um zukleinern seinen schmertz:
Trauren wolte ihn berühren,
Hoch verwundet ward sein Hertz.
Ach wär ich aus Sünd und Erden!
Sang der seufftzervoller Mund:
Mus ich dann verschlungen werden
Von dem grausen Abgrundschlund?
2.
Seit mein Jesus weggeschiden,
Seit schid aller Segen hin.
Unruh küsset mich vor Friden:
Seelenschade stat Gewin.
Löse, Jesus, meine Banden,
Drein ich selber mich vernetzt!
Wo nicht Hülfe mir verhanden,
Leb ich ewiglich verletzt.

3.
Seelenlibster! las mich lodern,
Wi zuvor, in Himmelsglutt!
Las mich deine Libe fodern!
Ach durchhitze Blutt und Mutt!
Nach dem Himmel geht mein schwingen,
Leihe Flügel, Jesus, doch!
Las mich Wolkenhöher dringen!
Ach entjoche mir mein Joch!

4.
Komme, Jesus, mich zustärken,
Weg, verdammtes Erdhyän!
Weiche mit den Blendniswerkken,
Angeschminkte Weltsyren!
Ehe wird di Sonn erblassen,
Und ihr Feuer bringen Eis,
Als ich werde Jesum lassen,
Um zugeben dir den Preis.

5.
Dises ward kaum ausgesaget,
Als ihn Libewig begrüsst:
Libewig, di ihm behaget,
Durch di alles Leid versüsst!
Er begunte strakks zubrennen,
Wi si bot di Lilgenhand:
Seelig fing er sich zunennen,
Weil er seinen Trost erkand.
6.
Libewig hilt ihn umpfangen,
Als si Libhold fest umschlos:
Jener küsste Mund und Wangen,
Si lis Libespfeile los.
So beflammten ihn di Flammen
Heiliglichter Jesuslib.
Was nur himmlisch, must entstammen,
Seraphinisch ward sein trib.

7.
Sein Gemütt Davidisirte:
Was er sagte, ward ein Reim.
Jesus war, der ihn regirte:
Gottes Lob ward Honigseim.
Wo das Gotteslob erklinget,
Lebet alles Gott verzükkt:
Wann di Verskunst Gott besinget,
Wird si göttlich angeblikkt.

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