Vor Corona war Klimaschutz das oberste Thema in den deutschen Medien. Vertreter der Klimaschutzbewegung sehen in der Corona-Krise eine Chance auf einen Rückbau unserer vernetzten, technisierten und energieintensiven Lebensweise. Doch geht das überhaupt? Der Verzicht auf Avocados und Mangos wird nicht ausreichen.
Niko Paech ist einer der führenden Vertreter der sogenannten Degrowth-Bewegung in Deutschland. Mit seinem Konzept der Postwachstumsökonomie hofft er vor allem auf die Aufhebung von Wachstumszwängen und setzt u. a. auf Regionalwirtschaft und Subsistenz oder Gemeinschaftsnutzung. In der Corona-Krise sieht er eine Chance, das Wirtschaftswachstum, als maßgeblichen Antrieb einer Volkswirtschaft, zu senken, die Wirtschaft zu entflechten und eine Deglobalisierung einzuleiten. Wie er in der taz verlauten ließ, kenne er vermehrt „Erlebnisberichte darüber, wie Menschen die freigestellte Zeit genießen. Viele räumen auf, reparieren, arbeiten im Garten, lesen viel oder wenden sich Familienmitgliedern zu.“ Manche Menschen erlebten eine Zwangspause vom Leistungsstreß und wollten möglicherweise gar nicht mehr zurück ins Hamsterrad.
Auch wenn diese Vorstellung zum Teil zutreffen mag, spricht Paech hier von einem sehr privilegierten Standpunkt. Sein Konzept ist natürlich vielschichtiger als es hier verkürzt dargestellt werden kann. Aber ist eine solche Wende, ein tatsächliches Umdenken vieler Menschen wirkliche denkbar? Paech ist der Auffassung, daß mit jeder Krise, der Anteil der Menschen, die grundsätzlich am System zweifeln steigt. Früher oder später werde „die Angst um die Überlebensfähigkeit unserer Zivilisation größer sein als die Angst vor dem Wohlstandsverlust, der sich zudem begrenzen und ertragen ließe.“ Und er ist sich sicher: „Nach der Krise ist vor der Krise.“
Im gleichen Interview gibt Paech, neben Kreuzfahrten und Urlaubsflügen, Mangos, Kiwis, Avocados und Futterimporte als Verzichtmöglichkeiten und Bereiche an, in denen die Globalisierung zurückgefahren werden sollte. Auch wenn man Paech an dieser Stelle grundsätzlich vielleicht sogar zustimmen mag. Global und langfristig gesehen wird das wenig nützen.
Das zeigt ein Blick in Jeannette Goddars Artikel „Eine Inventur des fossilen Zeitalters“ im aktuellen Magazin MaxPlanckForschung. Goddar hat für den Artikel mit Benjamin Steininger gesprochen, der am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin arbeitet. Er forscht u. a. zur Kulturgeschichte fossiler Rohstoffe. Er stellt ganz nüchtern klar: „Wir leben in Städten, die nur motorisiert zu erreichen sind, tragen Goretex und Nylon, ernähren uns mithilfe von Kunstdünger, sind auf Medikamente angewiesen – alles Dinge, die auf Erdöl, Gas und Steinkohle basieren.“ Unser Lebensstil sei derart von fossilen Rohstoffen geprägt, dass wir uns ein Leben ohne sie gar nicht vorstellen können und bisher auch nicht verstanden hätten, wie stark wir von ihnen abhängig sind.
Und er macht deutlich, dass eigentlich sämtliche emanzipatorischen Errungenschaften der letzten 200 Jahre – Abschaffung der Kinderarbeit, Freiheit des Einzelnen, relativer Wohlstand für eine massiv gewachsene Weltbevölkerung – auf der Nutzung fossiler Energien beruhen: „Seit zwei Jahrhunderten verschieben fossile Rohstoffe die Grenzen des technologisch Erreichbaren, und damit unser Verständnis von Wachstum, von Freiheit, unser Begehren.“ Ein Satz, der auch von Rolf Peter Sieferle stammen könnte.
Für Steininger ist klar, dass mit dem Umstieg auf den Elektromotor und dem Verzicht auf Plastiktüten nicht der Ausstieg in aus der Petromoderne erreicht wird. Auch die Nutzung sogenannter alternativer oder, noch besser: regenerativer Energien ist in der jetzigen Form und beim derzeitigen Energiebedarf reine Augenwischerei. Ausgerechnet Michael Moore zeigt das zusammen mit dem Regisseur Jeff Gibbs in seiner aktuellen Doku „Planet of the Humans“. Klimaaktivisten laufen Sturm gegen den Film, der noch 30 Tage kostenlos auf Youtube zu sehen ist. Zentrale Aussagen des Films u.a.: die erneuerbaren Energien sind nicht im Ansatz so umweltfreundlich, wie sie dargestellt werden, große Konzerne nutzen erneuerbare Energien als sogenanntes Greenwashing, Solar- und Windkraftanlagen produzieren nicht ausreichend Energie, um die Energie aufzuwiegen, die für ihre Produktion benötigt wird.
Natürlich kommt der Film wie ein typische Ami-Doku (inklusive kameratauglich sterbenden Orang-Utan in der letzten Szene des Films) daher. Da sind wenig Fakten, da sind pauschal gefällte Urteile und auch keine fundierte Analyse. Und Michael Moore selbst sieht den Film als Warnsirene, dass die Umweltbewegung zunehmend „mit den Großkonzernen im Bett liegt“, während sein Kollege Gibbs betont, es ginge hauptsächlich darum, die Diskussion loszutreten. Wenn das dem Film gelingt und vielleicht auch in Deutschland der Fokus auf Flächenfraß und die totale Industrialisierung der Landschaft gelenkt wird, wäre schon viel erreicht.