Und immer wieder die Familie (2)

Im ersten Teil rechnet Beate Brossmann mit dem traditionellen Familienbild ab und erklärt zugleich den Turbokapitalismus liberalen Typs für deren Auflösung verantwortlich.

In Anbetracht der Ruhe und Sicherheit, in der diese Leute lebten, empfand ich, war diese enge Ähnlichkeit der Geschlechter schließlich nur, was man erwarten mußte; denn die Kraft eines Mannes und die Weichheit einer Frau, die Institution einer Familie und die Trennung der Beschäftigungen waren bloße kriegerische Notwendigkeiten einer Zeit der Gewalt. Wo die Bevölkerung im Gleichgewicht und reichlich vorhanden ist, werden viele Geburten für den Staat eher zum Übel als zur Segnung: wo die Gewalttat selten wird und die Nachkommenschaft sicher ist, da ist eine kräftige Familie weniger nötig – ja, unnötig – und die Spezialisierung der Geschlechter im Hinblick auf Bedürfnisse ihrer Kinder verschwindet. Einige Anfänge davon sehen wir sogar schon in unserer Zeit, und in dieser Zukunft war es vollzogen.“

Dies schrieb H. G. Wells bereits im Jahr 1895 in seiner berühmten Dystopie „Die Zeitmaschine“. Mittlerweile scheinen wir an diesem Punkt angekommen zu sein. Folgt man dem dreiteiligen Artikel in der ZEIT von Lukas Hermsmeier,  ist es an der Zeit, die letzten Reste des konservativen Geistes (für ihn ein Un-Geist) abzuräumen.

Es geht uns gut genug, um aus der Not geborene Traditionen zu kappen. Family abolition nennt sich die neueste linksfeministische Forderung im englischsprachigen Wissenschaftsbetrieb. „Schwangerschaftsgerechtigkeit“ solle ihre Verwirklichung bringen. Zu diesem Zweck solle die Leihmütterschaft verallgemeinert und von ihrer neokolonialen Praxis befreit werden. Wie H.G. Wells nennen auch diese Feministinnen ihren ersehnten Zustand „Kommunismus“ – ein Kommunismus unter Beibehaltung der neoliberal-kapitalistischen Basisverhältnisse, ganz beschränkt auf die kulturelle Sphäre – auf diese allerdings in toto, wie bereits heute an Genderismus, Antisexismus, Ökologismus und Antirassismus spürbar wird.

„Wenn Kinder von großen demokratischen und antiautoritären Institutionen aufgezogen werden, Essen nicht mehr in Kleinküchen, sondern öffentlichen Kantinen zubereitet wird, Alte und Kranke nicht länger von sogenannten Angehörigen gepflegt werden und die Reinigung der Wohnungen nicht mehr privat organisiert wird, dann ist die Familie gänzlich überflüssig

,zitiert der Autor die Berliner Philosophin Bini Adamczak. Kinder gehören niemandem mehr – nur noch sich selbst. Daß es solche sozialen Experimente im 20. Jahrhundert zuhauf gab und sämtlich gescheitert sind, wird mit keinem Halbsatz erwähnt. Die „weiße, heterosexuelle Familie als moralische und ökonomische Norm“ soll marginalisiert werden – um jeden Preis.

Ein weiteres Argument für derlei Radikalismen lautet: Hierarchien, Familien, Staaten und starre Strukturen (bei diesen Denkern scheint dies ein Pleonasmus zu sein) bedeuteten eine Negation der „Solidarität“. Familienabolition würde Vervielfältigung von Beziehungen bedeuten und nicht deren Abbau. Typisch für linksliberales Zeitgeistdenken: Es wird ständig quantitativ argumentiert, nicht qualitativ.

Es spricht nichts dagegen, derartige Radikalideologismen einem breiten Publikum sachlich-informativ vorzustellen nach dem Motto: Was es nicht alles gibt! Der ZEIT-Autor allerdings drückt über den gesamten Artikel hinweg sein wohlwollendes Einverständnis mit ihnen aus:

Vielleicht entsteht hier gerade etwas Neues, eine Diskursöffnung, die zwangsläufig zunächst Verachtung erfährt, weil sie an Normativen rüttelt, also an grundlegenden Festsetzungen.“

Wie sie z.B. die AfD oder der ehemalige Spiegel-Autor Matthias Mattusek verträten. Mittlerweile gewinnt man den Eindruck, daß linke Positionen entscheidend davon geprägt werden, was der als „Gegner“ definierte vertritt: Ohne seinen Verstand einzuschalten, sind Linke reflexartig vom Gegenteil überzeugt und suchen nur dafür noch Argumente. Deshalb ist es grotesk, wenn Hermsmeier T.W. Adorno zum Kronzeugen für die Notwendigkeit seiner Parteinahme macht, als dieser 1969 in einem Vortrag sagte: „Es ist ja sehr oft so, daß Überzeugungen und Ideologien gerade dann, wenn sie eigentlich durch die objektive Situation nicht mehr recht substantiell sind, ihr Dämonisches, ihr wahrhaft Zerstörerisches annehmen.“ – In dieser Rolle befindet sich heute der radikale, allmählich fundamentalistisch werdende Linksliberalismus, nicht der Konservatismus. Die Kulturrevolution der sechziger Jahre frißt ihre Kinder.

H.G. Wells deutete die Aufhebung der Familie und die Nivellierung der Unterschiede zwischen den beiden Geschlechtern und den Individuen als Symptom des Verfalls einer ehemaligen Hochzivilisation unter den Bedingungen eines Gesellschaftslebens in Sicherheit, Wohlstand und Gewaltlosigkeit. Die studentischen „Schneeflöckchen“ in den USA und der westlichen Welt haben das Zeug, zum Symbol dieser Degeneration und Überzivilisierung zu werden.

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