»Stechpalmenwald«: Nicolas Winding Refn

Wie nichts Vergleichbares steht Hollywood symbolisch für die Träume ganzer Generationen, für die cineastische Utopie und den Verwirklichungsdrang des Einzelnen. Doch das ist längst nicht alles. So sehr Hollywood auch für das genaue Gegenteil, nämlich die gescheiterten Träume steht, wird uns auch immer ein bestimmter Entwurf der Wirklichkeit präsentiert. Dass diese Wirklichkeit nicht so eindeutig ist, wie sie zunächst scheint, ist Gegenstand unserer neuen Kolumne »Stechpalmenwald«.

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Der Stil des amerikanisch-dänischen Regisseurs Nicolas Winding Refn ist einer der interessantesten, die Hollywood in den letzten Jahren hervorgebracht hat. Sein Film Drive (2011) verknüpft verträumte Arthouse-Ästhetik mit dem Action-Genre und erreichte dadurch Kultstatus. Aber hat der experimentierfreudige Däne noch mehr zu bieten?

Ursprünglich bekannt geworden ist Refn durch seine vom Dogma 95-Stil beeinflusste Pusher-Trilogie. Seit Drive (2011) steht Refn allerdings für eine gänzlich andere Filmästhetik: Glasklare Bilder von neonlichtdurchtränkten Straßen treffen auf die warme Luft des nächtlichen Los Angeles und Gangstern in Motorradjacken. Das war allerdings auch im Jahr 2011 alles andere als neu, im Gegenteil, der style funktionierte, weil er an Bekanntes anknüpfte; einerseits erinnerte er an die 80er, andererseits auch ein wenig an die Hochglanzoptik von gegenwärtigen Musikvideos und Mode, allerdings in einer deutlich entschleunigteren, beinahe beruhigenden Variante. Ohrwurmqualitäten bewies der kultige Synthesizer-Soundtrack, der den Film durchgehend mit wabernden Klängen unterlegte und damit wohl seinen Teil zur Initialzündung des Retro-80s Hype seit Anfang der 2010er Jahre beitrug.

Der Begriff style verrät allerdings auch bereits einen Schwachpunkt dieses ganzen Konzepts. So gekonnt der Film mit Farben, Lichtern und der Coolness seines schweigsamen Helden spielte, blieb es am Ende doch ein vergleichsweise handlungsarmer Thriller. Ryan Goslings Spiel, seine eingefrorene Mimik, der spärliche Dialog und das Fehlen jeglicher Hintergrundinformation zu seiner Figur deuteten zwar viel an, brachten aber wenig Konkretes hervor. Dadurch konnte der Zuschauer eine Menge in die Figur hineinprojizieren; eine gewisse Verletztheit etwa in das Lächeln, das er seiner attraktiven Nachbarin zuwarf. Durchaus vermochte es der Film, den Betrachter durch Detailfixierung und die grundsätzlich attraktive Atmosphäre in das Geschehen hineinzuziehen, doch tatsächlich offenbart wurde nichts. Auch die Momente der Andeutung und des Geheimnisses blieben so vage, dass sich folglich der Verdacht aufdrängte, die gekonnte Inszenierung sei im Endeffekt nur die Zuckerglasur über ödem Mürbeteig.

Dementsprechend ist der interessantere Film Reys The Neon Demon (2016), bei dem der stylische look Reyns plötzlich einen doppelten Boden gewinnt. Ein junges Mädchen namens Jesse will Model werden und erreicht mit einem ersten Fotoshooting in Los Angeles unerwartet schnell die Aufmerksamkeit der dort ansässigen Branche. Sie hat, wie es eine Make-Up Künstlerin gegenüber einem konkurrierenden Model verkündet, „das gewisse Etwas“. Das weckt den erwartbaren Neid unter den Kolleginnen, die sie dann, wer hätte es ahnen können, umbringen.

Doch natürlich wäre es naiv zu denken, dass uns dieser Film ausschließlich die Oberflächlichkeit der Modewelt präsentieren will. Dafür bräuchte es sicherlich keinen zweistündigen Spielfilm. Dazu passt außerdem kaum, wie der Film mit der Welt, die er porträtiert, umgeht. Die zahlreichen Fotoshootings zelebriert der Film mit einer unglaublichen Lust und Einfühlungsvermögen, die Bilder wirken kalt und doch perfekt inszeniert. So überrascht es nicht, dass sich in einer Szene ein Modedesigner selbst mit einem Künstler vergleicht und über sich sagt, er liebe es, Dinge zu erschaffen.

Gleich in der Anfangsszene liegt die Hauptfigur, mit bunten Perlen im Gesicht geschmückt, auf einer Couch. Ein Kleid aus blauem Latex liegt eng an ihrem Körper und vom Hals rinnt Kunstblut herunter. Das erinnert optisch tatsächlich an ein Modebild morbiden Stils (man denke etwa an die Benetton-Werbung aus den 90er Jahren); die Ästhetik des Films und die der Mode treffen sich und werden unverwechselbar.

Ein stets wiederkehrendes Element ist das Sprechen über Schönheit: „Es ist alles“, antwortet die Hauptfigur auf die Frage einer Konkurrentin, wie es sich denn anfühle „einen Raum zu betreten, und es ist wie mitten im Winter…und du bist die Sonne“. Der Modedesigner rät derweil seinen Models, sich nicht operieren zu lassen, „weil man es immer sehen kann, wenn Schönheit manipuliert wurde“. Nachdem er anschließend das Aussehen eines seiner Models herunterputzt („Ja, das ist genau das Wort wonach ich gesucht habe. Sie ist okay“), schwärmt er schließlich über die Hauptfigur: „Jetzt seht euch Jesse an. Da ist nichts gefaked, nichts Falsches. Ein Diamant in einem Meer aus Glas. Wahre Schönheit ist die stärkste Währung, die wir haben.“ Nachdem ihm der Freund der Hauptfigur Jesse widerspricht, spöttelt er: „Willst du uns jetzt etwa sagen, dass es nur die inneren Werte sind, die zählen? Also, ich denke, dass wenn sie nicht hübsch wäre, du nicht einen Blick auf sie werfen würdest. Schönheit ist nicht Alles, sie ist das Einzige.“

Leicht mag der Zuschauer hier zu der Ansicht verführt werden, dass sich der Film auf die Seite von Jesses Freund schlägt, und die Oberflächlichkeit der Figuren zum Objekt seiner Kritik macht. Doch diese Interpretation beißt sich völlig mit dem Stil des Films, der uns eine perfekt inszenierte Oberfläche präsentiert, die man bereits aus den beiden Vorgängern Drive (2011) und Only God Forgives (2013) kennt. An dieser Stelle öffnet sich der doppelte Boden. Fast könnte man meinen, hier kritisiere sich der Film selbst, als stelle Refn hier nicht die Modewelt als oberflächlich dar, sondern sein eigenes Schaffen. Ist es sogar eine Kritik an unserer Zeit?

Zeitgenössisch wirken Refns Filme zweifellos, trotz aller 80er Neonlampen-Romantik. Das beginnt bereits bei den Figuren, die eben keine Charaktere sind, kein Charisma ausstrahlen oder Ecken und Kanten haben. Sie bleiben blass und agieren wortkarg, sind Kinder der modernen Welt. „Leblos“, ist ein Wort, welches in Kritiken zu Refns Filmen manchmal auftaucht, als wären die Schauspieler bloße Puppen oder Statisten, und hier nimmt The Neon Demon das ganze wörtlich. Eines der Models ist so dürr, dass ihr Kopf etwas Totenkopfartiges hat. In der erwähnten Anfangsszene deutet das Kunstblut an Jesses Hals einen Kehlenschnitt an, als hätte man ihre Leiche kunstvoll auf dem Sofa drapiert. Die Make-Up Künstlerin, mit der sie sich im Anschluss an dieses Fotoshooting anfreundet, wird sich später an einer Leiche vergehen während die Kamera zwischenzeitlich immer wieder auf Jesse schaltet, die erneut auf einem Sofa liegt und masturbiert.

Das alles ist ein interessantes Spiel, das zwar den Film noch nicht zu einem Meisterwerk macht, aber zeigt, dass sich in der vermeintlichen Oberflächlichkeit des Refn-Stils eine Brisanz verbirgt, die ihn zu einem der interessantesten Regisseure macht, die Hollywood gegenwärtig zu bieten hat.

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