Zwar sind biblische Topoi bis heute präsent in der deutschsprachigen Literatur. Doch Autoren, deren Werk mit Recht als „christliche Literatur“ bezeichnet werden kann, nehmen eine Randstellung im Kanon der Gegenwart ein, wenn sie nicht völlig vergessen sind. Diese Tatsache hat sehr viel mit dem modernen Zeitgeist und sehr wenig mit der Qualität dieser Werke zu tun. Einige Namen wären hier für das 20. Jahrhundert zu nennen: Hans Carossa, Rudolf Alexander Schröder, Konrad Weiß, Gertrud von le Fort, Theodor Haecker, Werner Bergengruen, Jochen Klepper und nicht zuletzt Reinhold Schneider. Es ist verdienstvoll, dass der Lepanto-Verlag ein Jahrbuch ins Leben gerufen hat, das christliche Autoren ins öffentliche Bewusstsein zurückholen möchte und sich damit gegen den Zeitgeist stemmt.
Zwei Grundfragen des Lepanto-Almanachs schälen sich beim Lesen der ersten Ausgabe heraus: Wie ist Christsein möglich unter den Bedingungen der modernen „Gottesfinsternis“ (Martin Buber) und der „Gottunfähigkeit“ (Alfred Delp) des modernen Menschen? Und wie ist eine Rückbesinnung auf die christliche Tradition, ihre Freilegung und ihre Fortführung möglich? Im ersten Almanach steht Reinhold Schneider (1903–1958), der sich als Verkünder christlicher Wahrheit verstand, thematisch im Zentrum. Er ist ein weitgehend vergessener Autor. Seine Bücher sind (bis auf wenige Ausnahmen) nur noch antiquarisch zu erwerben.
Am Anfang des Almanachs findet der Leser unter der Rubrik „Grundlagen“ die anspruchsvolle und umfangreiche Studie von Christoph Fackelmann unter dem Titel „Sprache, Form und die Fragwürdigkeit menschlichen Schöpfertums. Über die Spur der babylonischen Revolte in der neueren Literaturgeschichte“. Das Selbstverständnis Reinhold Schneiders und sein Werk dienen hier als Gegenentwurf zu poetologischen Konzepten, bei denen der Dichter mit Gott um dessen Rolle als Schöpfer und Richter konkurriert. Dabei schlägt Fackelmann einen Bogen von Stefan George über Josef Weinheber und Karl Kraus bis zu den Niederungen der Gegenwart und den Bemühungen um eine „politisch korrekte“, „nicht-diskriminierende“ Sprache.
Die Rubrik „Thema“ konzentriert sich ganz auf das Werk Reinhold Schneiders. Sie wird eröffnet mit einem knappen biografischen Text aus dessen eigener Feder. Darauf folgt einer der Höhepunkte des Bandes: Joseph Ratzingers Überlegungen aus dem Jahr 1972 zum Thema des Gewissens am Beispiel von Schneiders Roman „Las Casas vor Karl V.“. Dieser Roman des Widerstands gegen den Nationalsozialismus beschreibt den Konflikt zwischen der Macht und dem Gewissen. Das Gewissen markiert eine unüberschreitbare Grenze der Macht, wenn es sich auch im Leiden dem Zwang nicht beugt. Es ist somit Ausweis der Freiheit des Menschen auch – oder gerade – in Machtlosigkeit und Leiden.
Im nächsten Beitrag behandelt Ángeles Osiander Fuentes Reinhold Schneiders Potsdamer Jahre (1932–1937). Diese Zeit ist nicht nur historisch bedeutsam, weil sie den Aufstieg und die Machtergreifung der Nationalsozialisten umfasst. Auch in Schneiders Biografie vollziehen sich entscheidende Wendungen: seine Absage an den Staat und seinen Totalitarismus sowie seine Konversion vom Nihilismus zum katholischen Glauben.
Der darauffolgende Beitrag von Till Kinzel thematisiert Reinhold Schneiders Auseinandersetzung mit der klassischen deutschen Philosophie, namentlich mit Fichte und Schopenhauer. Schneiders Schriften zu diesen Themen (etwa seine Studie „Fichte. Der Weg zur Nation“) wurden zum Großteil nicht in die Werkausgabe im Insel-Verlag aufgenommen und sind daher neu zu entdecken und zu würdigen.
Den Abschluss der Rubrik „Thema“ bildet eine Reflexion Michael Riegers zu Gedanken des Jesuitenpaters Alfred Delp. Dieser spricht in Aufzeichnungen aus den Jahren 1944/45 von der „Gottunfähigkeit“ des modernen Menschen und macht Vorschläge zu ihrer Überwindung. Während Rieger die analytische Kraft von Delps Begriff der „Gottunfähigkeit“ hervorhebt, sieht er dessen Vorschläge zur Überwindung dieses Phänomens eher kritisch. Nur eine Rückwendung zur Tradition, wie sie auch Juan Donoso Cortés und Reinhold Schneider forderten, könne letztlich über die „Gottunfähigkeit“ der Moderne hinausführen.
Unter der Rubrik „Werkstatt“ stellt Johannes Saltzwedel einen bisher unbekannten Brief des Theosophen Franz von Baader vor. Dieser Brief gewährt Einblick in die Druckgeschichte von Baaders Hauptwerk, den „Fermenta Cognitionis“.
Unter der Rubrik „Umschau“ stellt Michael Rieger einige Enzyklopädien und Buchreihen vor, die die „Fundamente einer christlichen Wissenskultur in deutscher Sprache“ bilden. Außerdem berichtet Gudrun Trausmuth über die „Kleine Bibliothek des Abendlandes“ im Be&Be-Verlag und Christine Wiesmüller über einige Literaturtagungen an der Hochschule Trumau bei Wien.
Abschließend kann man feststellen, dass der Lepanto-Almanach zahlreiche Anregungen und Hinweise auf wenig bekannte, aber lesenswerte Schriften bietet. Das Niveau der Beiträge ist durchgehend sehr hoch und besonders bei Fackelmann auch durchaus herausfordernd für den Leser. Der Lepanto-Verlag hat damit einen guten Anfang gemacht und einen hohen Maßstab für weitere Ausgaben gesetzt. Man darf gespannt sein auf das nächste Jahrbuch.
Michael Rieger, Till Kinzel, Christoph Fackelmann (Hrsg.), Lepanto-Almanach 1/2020. Jahrbuch für christliche Literatur und Geistesgeschichte, 14,80€. Hier erwerben.