Die unzufriedenen Untertanen – Ein Märchen

Es war einmal ein König, dessen Untertanen unzufrieden waren. Im ganzen Reich gab es genug zu essen, es gab Bier und Gaukler und nur selten mussten Verbrecher gehenkt werden. Und doch waren die Untertanen des Königs unzufrieden. Mal schienen ihnen die Steuern zu hoch, dann wieder beklagten sie sich, dass es im Reich überhaupt noch Verbrechen gab. Oder sie langweilten sich und forderten mehr Ritterturniere, mehr Gaukler, mehr Bier. Es kam so weit, dass die Untertanen sich in großer Zahl vor dem Palast des Königs versammelten und lautstark nach einer unbegrenzten Menge an Freibier riefen. Der König war verärgert und wollte den Pöbel schon vertreiben lassen, als sein klügster Berater ihn ansprach: „Wenn Ihr das tut, dann werden Eure Untertanen noch unzufriedener sein als zuvor. Denn sie werden einen weiteren Grund haben, sich zu beklagen.“ Der König sah ein, dass der Berater die Wahrheit sprach und fragte ihn: „Was ratet Er mir?“ Der Berater lächelte und sagte: „Ich werde Euer Problem lösen. Eure Untertanen werden Euch lieben und Euch zutiefst dankbar sein, wenn Ihr tut, was ich sage.“ Der König war so verzweifelt, dass er dem zustimmte und sich darauf einließ, die Pläne des Beraters umzusetzen.

Am nächsten Tag verkündeten Herolde überall im Reich die neuen Verfügungen des Königs, welche dieser auf Veranlassung seines Beraters beschlossen hatte: Alle Untertanen, Mann und Frau und Kind, durften nur noch mit Hüten durch die Straßen gehen. „Häufig kommt es vor, dass Unseren geliebten Untertanen Unrat aus den Fenstern auf den Kopf geschüttet wird. Zum Wohle Unseres Volkes gebieten Wir deshalb, dass jeder, der ohne Hut auf den Straßen vorgefunden wird, eine Geldstrafe in Höhe von 200 Gulden zahlen muss.“ Diese Worte wurden von den Herolden überall im Reich ausgerufen. Nun murrten die Untertanen erst recht. Sie beklagten sich, dass sie unter den Hüten schwitzten und rechneten aus, wie unwahrscheinlich es war, von Unrat aus einem Fenster beschüttet zu werden. Der König wunderte sich, doch er folgte dennoch seinem Berater und ließ die Hutpflicht in seinem Reich streng durchsetzen.

Natürlich wurden die Untertanen noch unzufriedener als zuvor, doch der Berater des Königs hatte schon einen weiteren Schritt ausgeheckt. Nur wenige Tage nach der Einführung der Hutpflicht vernahm man wieder Herolde im ganzen Reich. Sie riefen aus, dass ein neuer Erlass des Königs nun auch die Stiefelpflicht für alle Untertanen eingeführt habe. „Denn Wir wollen nicht, dass Unsere Untertanen in schlechtem Schuhwerk durch den Unrat waten, sich besudeln und den Kot in den Gassen verteilen.“ Auch diesmal war der Aufschrei des Volkes groß. Wer keine Stiefel hatte, musste nun zu Hause bleiben, und wer durch die Gassen ging, musste wohl oder übel an den Füßen und Waden schwitzen.

Als nächstes befahl der König auf Veranlassung seines Beraters, dass man alles Vieh in die Häuser nehmen müsse: Schweine, Kühe, Hühner, Esel und was sonst nach an Tieren durch die Gassen und Straßen streunte. Wurde ein Tier außerhalb der Häuser angetroffen, so wurde es vom Büttel des Königs getötet. Die Untertanen waren entsetzt. Nicht genug damit, dass sie nur noch mit Hut und Stiefeln nach draußen durften – jetzt mussten sie auch noch ihre Wohnstätten mit dem Vieh teilen, denn nicht alle hatten ausreichend große Ställe. So manches Wohnzimmer wurde zugekotet, und an Schlaf war bei lautem Gackern vielerorts nicht mehr zu denken.

Der König war nun selbst entsetzt. Er machte seinem Berater Vorwürfe und sagte: „Das werden meine Untertanen mir nie verzeihen. Ich bin unbeliebter, meine Untertanen unzufriedener als je zuvor. Sie hassen mich.“ – „Vertraut mir nur“, sagte der Berater, „sie werden Euch noch lieben, und zwar mehr als je zuvor.“

Am nächsten Tag wurde verkündet, dass niemand mehr die Häuser verlassen dürfe. In den Untertanen brodelte es. Viele verfluchten ihren König und wünschten ihm die Pest an den Hals. Sie schrien ihren Hass aus den Fenstern. Wer aber die Häuser verließ, wurde vom Büttel aufgegriffen und hart bestraft. Wer die hohe Strafe nicht zahlen konnte, wurde ausgepeitscht. So erging es vielen, die sich zu Protesten versammelt hatten und die Tyrannenherrschaft ihres Königs bitter beklagten.

Schon am Tag darauf wurden alle Erlasse wieder rückgängig gemacht. Die Untertanen durften wieder ihre Häuser verlassen, sogar ohne Hut und Stiefel! Sie durften auch ihr Vieh wieder nach draußen bringen, konnten ihre Häuser endlich vom Kot säubern und wieder ruhig schlafen. Die Erleichterung war allerorten sehr groß. In unendlicher Liebe dankten alle ihrem großzügigen, gnädigen und rechtschaffenen Herrscher. So wurde wahr, was der Berater des Königs vorausgesagt hatte: Der König war nun so beliebt wie nie zuvor und seine Untertanen so zufrieden wie schon lange nicht mehr. Niemand beklagte sich mehr oder stellte freche Forderungen. Alle waren ihrem Herrn und König unendlich dankbar, dass sie nun endlich wieder in Freiheit leben durften. Der Berater aber wurde vom König mit höchsten Ehren versehen.

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