Lob der Verschwendung – Zu Batailles Theorie der Ökonomie

Was haben mexikanische Menschenopfer, die Olympischen Spiele der Antike, die islamischen Eroberungskriege und der Bau einer Kirche miteinander gemeinsam? All diese Erscheinungen weisen auf den notwendigen Verbrauch von überschüssiger Energie hin, die der Mensch in Form dieser Exzesse verausgabt. Das zumindest ist der Ausgangspunkt der allgemeinen Ökonomie des französischen Schriftstellers und Bibliothekars Georges Bataille, die er gegen den Geist des kapitalistischen Zeitalters in Stellung bringt.

Die Menschheit produziere seit ihrem Anbeginn mehr, als sie zum Überleben tatsächlich benötige. Durch einen grundlegenden Überschuss an Energie entstehe materieller Reichtum, der für das rudimentäre Leben nicht nötig sei. Dieser Überschuss werde vom Menschen dann rituell verbraucht, um sich davon zu befreien und Platz für neue Produktionen zu schaffen. Die Verzehrung könne sich in unterschiedlichen Formen äußern, sowohl kriegerisch als auch rituell oder orgiastisch, wobei die Grenzen dabei fließend seien. Die überschüssige Energie kann aber auch, wenn sie, wie in der Lehre des Calvinismus, nicht mehr konsequent verbraucht, sondern angesammelt wird, zur Entstehung des modernen Kapitalismus führen. Der Exzess ist somit, zumindest nach Bataille, eine menschliche Grundkondition, mit der wir rechnen müssen.

Ausgehend von dieser anthropologischen Deutung der Produktionsweise schickt sich der „Anti-Ökonom“ (Benjamin Noys) an, eine eigenständige Theorie der Ökonomie zu entwerfen, die im diametralen Gegensatz zur historisch-materialistischen Deutung à la Hegel oder Marx steht. Doch gleichermaßen wie der Letztgenannte ist Bataille ein konsequenter Kritiker des modernen Kapitalismus und bürgerlicher Lebensformen. Der verfemte Teil lautet die Übersetzung dieses Werkes, das für Bataille in einem untypisch akademischen Stil geschrieben wurde und das jetzt bei Matthes & Seitz in einer Neuübersetzung als ein Appell für die Verschwendung erschienen ist.

„Seit der Setzung der Welt der Dinge wurde der Mensch selbst zu einem Ding.“

Batailles ambitionierter Ansatz einer grundsätzlichen Theorie, das gilt es an dieser Stelle zu betonen, trägt, trotz seiner vielschichtigen Versuche der historischen Untermauerung, im Einzelfall nicht. Stirnrunzelnd ringt man mit inneren Widerständen gegen Batailles Gesamtdeutung der menschlichen Anthropologie – nicht zuletzt deshalb, weil viele der Exemplifizierungen kaum weiter von unserer tatsächlichen Lebensrealität entfernt sein könnten. Gleiche Erfahrungen musste der geneigte Leser bereits bei der Lektüre von Batailles Theorie der Erotik machen, die sich ähnlich radikal gegen die uns einstudierten und verinnerlichten bürgerliche Normen richtet. Die Lust zur Grenzüberschreitung ist für die Lektüre Batailles also auch hier unbedingte Voraussetzung. Wer daran keine Freude hat und auf theoretische Verwertung schielt, dem sei geraten, einen großen Bogen um den „Exkrementenphilosophen“ (André Breton) zu machen.

Doch die universale Deutung eines scheinbar menschlichen Urphänomens hat – ähnlich wie man es von Camille Paglia oder aber auch Mircea Eliade kennt – seine ganz eigenen Reize. Bataille schafft es, archaische Elemente aus ihrer historischen Verknüpfung zu lösen und uns im wahrsten Sinne vor Augen zu halten. Seine kulturgeschichtlichen Beispiele von den Azteken bis hin zu den Protestanten erscheinen uns durch ihre innere Verknüpfung tatsächlich profund. Doch die Distanz zur konkreten historischen Form ist zu groß, als dass sie für eine verklärte Betrachtung der Vergangenheit ausreichen würden, eher hilft sie uns, die Gegenwart in ihr zu spiegeln und die Entstehung der modernen Welt nachzuvollziehen.

Wer an dieser Stelle vermutet, es könnte sich bei Georges Bataille in irgendeiner Form um einen Konservativen handeln, der wird enttäuscht. Wenn überhaupt, dann ist Bataille ein Kryptokonservativer, der von seiner inneren Nostalgie nach vorausgehenden Epochen getrieben wird, die noch wahre Verschwendung praktizierten und eben nicht dem Kapitalismus verfallen waren. Doch nur weil Bataille ein Gespür für die Vergangenheit und die überlieferten Lebensformen mythisch und hierarchisch organisierter Gesellschaften zeigt, macht ihn das noch lange nicht zu einem Restaurator. Im Gegenteil, Bataille kehrt die christlich-abendländische Konvention – ähnlich wie Nietzsche –, seine eigenen Begierden zu zügeln, ins Gegenteil und fordert auf zum Exzess als ein Aufbegehren gegen die Verdinglichung des Menschen.

„Das kapitalistische Bürgertum verwies den Bau von Kirchen auf den zweiten Platz und zog ihm den Bau von Fabriken vor.“

Von diesem Ausgangspunkt her betrachtet lässt sich der theoretische Entwurf Batailles besser nachvollziehen, als an den Anfang der Betrachtung – so wie er es selbst tut – den obskur anmutenden Sonnen-Mythos zu setzen und diesem durch die Geschichte archaischer Gesellschaften zu folgen. Bataille entwirft seine Theorie auf ein bestimmtes Ziel hin gerichtet, nämlich die Legitimation des kapitalistischen Zeitalters zu untergraben – das sollte man unbedingt im Hinterkopf behalten. Die Menschen seien nur noch in der Lage, die Welt als „rationale Verkettung“ zu verstehen und würden nicht mehr nach der Wahrheit im konkreten Augenblick suchen. Im Zusammenspiel mit der modernen Arbeitsmoral werde der Mensch gerade deshalb zu einem Ding entwürdigt.

Doch wie konnte es zu dieser Verdinglichung kommen? Der springende Punkt ist für Bataille die Frage danach, welche Rolle eine Gesellschaft ihrem Reichtum zumisst, den es per se immer gibt und der sich anhand des Überschusses definieren lasse. Dieser Reichtum, der sogenannte verfemte Teil, ist in traditionalen Gesellschaften für die Verzehrung mittels religiöser Aktivitäten bestimmt, das weist Bataille durchaus nachvollziehbar nach. Wenn daher diese genuin verschwenderischen Opferfeste und orgiastischen Riten den erwirtschafteten Überschuss nicht mehr verzehren, entstehe eine völlig neue Situation der Lebensbedingungen, dessen Konsequenzen wir heute beobachten.

„Die Kommunisten geben immer dem Ding den Vorzug vor allem, was wagt, nicht dessen untergeordneten Charakter zu haben.“

Zu dieser Situation habe vordergründig die Reformation geführt, die mittels des Protestantismus die Wahrheit in die profane Welt verlegt habe – ganz anders als es noch die archaischen Religionen taten. In der Folge Max Webers habe insbesondere der Calvinismus die Selbstgenügsamkeit, der sich selbst bestimmten Verzehrung, abgelöst. Entstanden ist dadurch eine ökonomisch orientierte Menschheit, die ihre Vollendung in der modernen Bourgeoisie erfahren hat. Selbstverständlich gilt es in diesem Zusammenhang auch auf die marxistische Philosophie zu verweisen, die das Handeln des Menschen rein auf die Veränderung seiner materiellen Grundlagen reduziert habe. Dadurch entstehe eine tiefe Abhängigkeit von den Dingen, die den Menschen selbst zu einem Ding mache, da er ständig auf seine Produktion und Verwaltung angewiesen sei.

Konsequenterweise könnte man zu dem Schluss kommen, dass in der ziellosen Verschwendung die Gegenwelt zur kapitalistischen liegt und man gar die zeitgenössische Partykultur als eine amputierte Nachahmung archaischer Verausgabungen verstehen könnte. Sicherlich liegt, dieser Argumentation folgend, hier eine anthropologische Wahrheit des Menschen, doch zur Fundamentalopposition reicht der sinnentwertete Exzess nicht.

Ein grundsätzlicheres Problem, so eine weitere Hauptthese Batailles, ist das Missverständnis des modernen Freiheitsbegriffs, der voraussetzt, man könnte nur frei sein, wenn man „den Erfordernissen einer materiellen Ertragsregelung“ entspräche. Was hier harmlos klingt, führt in letzter Konsequenz jedoch zu nichts geringerem als der Neudefinierung menschlicher Souveränität. Die Möglichkeit der sinnlosen Vergeudung wurde sukzessive abgedrängt und von einer Ethik abgelöst, die das Anhäufen von weiteren Dingen zu Ziel habe. Durch diese eigentliche Selbstentfremdung schiebt sich das Ding zwischen den Menschen und sein Grundbedürfnis. Die zeitgenössische Partykultur ist nur ein billiger Abklatsch dessen, könnte man mit Bataille behaupten, denn vielmehr müssten wir bis an die Grenze der Selbstentblößung gehen, um ins innere Selbst vorzudringen, um den Tod zu berühren.

Georges Bataille hat von einer anderen, menschenwürdigeren Welt geträumt. Er wollte die „volle Potentialität des Menschseins“ ausgelebt sehen. Mit einer streng antibürgerlichen Haltung forderte Bataille deshalb nichts geringeres als die Rückkehr des Menschen zu sich selbst. Wie radikal anders diese Welt sein sollte, machen seine sadomasochistischen Praktiken, die er in seinen privaten Pariser Untergrundzirkeln und Bordellen praktiziert hat, ebenso deutlich wie sein literarisches Schaffen („Das obszöne Werk“). Niemandem allerdings ist es zu verübeln, wenn er diesen konsequenten Schritt mit Bataille nicht mitgeht, sondern sich aus der Ferne über die von Bataille aufgedeckten Bruchstellen der verdinglichten Welt erfreut. Doch kann man Bataille als Philosophen tatsächlich ernst nehmen? Wohl eher nicht, also lassen wir es ordentlich krachen!

Georges Bataille, Der verfemte Teil, Matthes & Seitz 2021.

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