Aphoristiker auf Abwegen

Als ich bei Arne Kolb zu Gast war, fiel mein Blick auf einen achtlos herumliegenden Block, wie ihn Schuljungen verwenden. Das seien Notizen, die er sich mal gemacht habe. Als ich darin las und fragte, ob ich es verwenden kann, zuckte er mit den Achseln und meinte: Das interessiert keine Sau. Diese prosaisch anmutenden Skizzen gibt es im Folgenden zu lesen. 

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VIII. Einige Gedanken über das Reisen, 21.07.2022

Meine Abscheu vor dem Reisen ist wohlbegründet und durch die Erfahrungen meiner Kindheit und Jugend empirisch fundiert und das Einzige, das mir hierbei zu denken gibt ist die Frage, warum diese Ansicht nicht allgemein geteilt wird. Das Missverhältnis zwischen dem Ausmaß der Vorbereitungen und den Unannehmlichkeiten der Fahrt einerseits und der vollkommenen Nichtigkeit des Ziels andererseits stand mir immer klar vor Augen. Im Vergleich zu einer bloßen Wallfahrt ist eine Geschäftsreise etwas geradezu Erhabenes! Wenn ich nur daran denke, wie oft ich – an Klaustrophobie leidend – mich mit meinen Geschwistern wie Ölsardinen auf die Rückbank eines viel zu kleinen und noch dazu mit viel zu viel Gepäck vollgestopften Wagens zwängen musste, nur um an irgendeinen Ort zu kommen, wo man letztlich aß und trank und schlief wie zuhause. Oder man nimmt das Flugzeug und muss sich bald wie einen Verbrecher, bald wie ein Gepäckstück behandeln lassen, während einem dabei unablässig das Geld aus der Tasche gezogen wird. Nein, mir ist vollkommen klar, dass vernünftige Menschen sich niemals zum Vergnügen auf eine Reise begeben würden, und doch ist alle Welt geradezu verrückt danach. Meine Erklärung ist die, dass die Menschen das Alleroffensichtlichste dabei nicht sehen: Dass sie ja immer mit sich selber mitfahren! Die Menschen denken, sie würden an einem anderen Ort aufwachen und wachen doch immer nur in sich selbst auf! Sie denken, weil sie zu Hause voller Verzweiflung und Überdruss sind, dass sie anderswo frei davon wären, weil Verzweiflung und Überdruss zusammen mit den Gartenzwergen das Haus hüten. So verblendet kann niemand sein? Wenn die Geschichte eines beweist, dann, dass keine Verblendung dem Menschen zu dumm ist, der in ihr Zuflucht sucht! Die einzigen Reisen, die ich gelten lassen kann, sind Feldzüge, weil Feldzüge gewöhnlich in den Untergang führen und der Untergang das einzige Ziel ist, das zur Mühsal der Reisen in keinem Missverhältnis steht. Der Untergehende kann sich sagen, dass es zwar mit ihm zu Ende geht, wie es mit uns Allen zu Ende geht, aber doch für ein unentweiht gebliebenes Ziel. Wie trübsinnig sind dagegen die siegreichen Feldzüge! Nicht wie der Verlierer um den Sieg, sondern durch den Sieg betrogen zu werden ist das Schlimmste. Was wäre geschehen, wenn die Geographie eine andere gewesen wäre, wenn hinter Persien nicht Indien gelegen hätte, sondern tatsächlich der Okeanos und also die Truppen Alexanders schließlich, nach der vollendeten Eroberung der gesamten Welt, auf das Meer gestoßen wären, dass die Erde begrenzt? Was hätten sie da wohl getan? Ich denke, sie wären wieder nach Hause gegangen. Und wer ermisst die Trauer des Kolumbus, als er wieder nur neues Land entdeckte, anstatt über den Rand der Welt zu fallen in jenen zeitlosen Abgrund, den allein der Mensch befährt ohne selber mitzufahren?

VII. Einige Gedanken über Träume, 29.06.2022

Ich hörte einmal eine Gerichtspsychologin reden über die Verfasser anonymer Drohbriefe, ganz höfliche, schüchterne Männer seien das zumeist. Aber ja, dachte ich, das bin ja Ich! Ein feiger Wicht, den man mit einem rohen Wort wie ein Ungeziefer in seinen Winkel scheuchen kann, wo er dann Monate und Jahre gärt in der eigenen Galle, schließlich diese Galle hochwürgt und als seine »Dichtung« auf den Markt erbricht. Und ich will es gar nicht anders! Nie wieder werde ich die Sehnsüchte meiner Träume mit meiner Sehnsucht zu träumen verwechseln. Welche Frauen wurden nicht schon geraubt im Zuge des Imperialismus meiner Träume, welche Städte nicht geschleift von den Horden meiner Imagination, welche Völkerscharen nicht in die Sklaverei geführt unter meinen geschlossenen Augenliedern? Immer neue Fangarme, immer neue Saugnäpfe ersinnen meine Träume, mit der Feder sich einschreibend in die Welt, Ableger und Polypen in Umlauf bringend, emporwuchernd an Gegenwärtigem und Zukünftigem. Ich will, dass die Schüler noch in Jahrhunderten meine Sentenzen lernen müssen, und dass sie kräftig geprügelt werden, wenn sie meine Verse verhunzen. Nietzsche, der Bescheidene, träumte von Lehrstühlen eigens zur Interpretation des Zarathustra, ich hingegen halluziniere ganze Skriptorien voll Mönchen meines Ordens, ganze Bibliotheken meines Oeuvres, ganze Heerlager von Zwangsarbeitern des Geistes, allein dazu gezwungen, meine Schriften händisch abzuschreiben, bis alles von meinem Geschriebenen erfüllt ist, bis sie nach Atem ringen und ihnen nur meine Papierblätter erstickend in die Kehle strömen, bis schließlich alles bedeckt ist vom weißen Schnee meiner Manuskriptseiten, sodass das kalte Licht des Mondes auf eine ungeheure, ausgeleuchtete Leere fällt, darin nur noch der Wind leise und trocken raschelt.

VI. Einige Gedanken über das Schreiben, 08.03.2022

Warum schreibe ich eigentlich? Nun, der Mensch lernt vor allem durch Nachahmung und ich lese viel, das ist schon so. Aber diese Antwort haben schon viele gegeben, und ich will ja etwas Originelles schreiben, wenn ich mich in die Einsamkeit meines Schreibzimmers mit den apfelgrün gestrichenen Wänden setze. Was soll das eigentlich? Nun… also… Ich will meinem Ärger Luft machen! Ich will meinen Welthass über die Welt ausgießen, der Gesellschaft meinen Gesellschaftshass einträufeln, meinen Frauenhass an den Mann und meinen Männerhass an die Frau bringen. Staub sollen sie fressen und mit Lust! Wartet nur ab, ich werde selbst die Juden für meinen Judenhass bezahlen machen und die Christen werden – als gute Christen – mich lieben für meinen Christenhass. Ich hasse aber auch – ich weiß, es ist provinziell und rückständig – die großen Städte. Ja wirklich, die berühmten Hauptstädte dieser Welt, durch die ich meine Jugend hindurch geschleift wurde am Gängelband meiner Mutter, immer mit dem Gedanken: Euch hätte man bombardieren sollen, ihr Vermüllten und Vermassten und mit weißem Abschaum Angefüllten. (warum gibt es dieses schöne Wort nur in Amerika, dass ich übrigens auch hasse, was jetzt aber zu weit führt…) Ich bin ein Universalist, ein Universalist des Hasses. Niemand soll sagen, mein Denken sei kein Universalistisches! Behandle die anderen stets so, wie du selbst behandelt werden möchtest! – nach diesem Grundsatz habe ich immer gehandelt, ich hasse mich nämlich selbst. Ich hasse die Welt in mir selbst und hasse mich selbst in der Welt! Ich bin ein Raubtier, das sich selbst zerfleischt; nachts muss ich eine Schiene tragen, damit sich meine Zahnreihen im Traum nicht gegenseitig zerreiben! Mein Ressentiment ist unerschöpflich und tief wie das Weltmeer! Eigentlich habe ich nie nach diesem Grundsatz gehandelt, denn ich hasse mich selbst noch viel mehr als die Welt… Ich bin die schwarze Sonne, um die alle Planeten meines Welthasses kreisen, das kalte Auge inmitten eines hasserfüllten Sturmes, in meiner Retina spiegeln sich die Ahnungen der Apokalypse! Ja! Ja! So denke ich mir das, in der Einsamkeit meines Schreibzimmers mit den apfelgrün gestrichenen Wänden. Nachher werde ich in der Konditorei ein Mädchen treffen und ein Stück Torte essen, mein Tagwerk ist schließlich getan. Die Welt ist furchtbar, hasserfüllt und hassenswert, meine lieben Freunde, und ich bin nur ein Teil davon. Deshalb schreibe ich!

V. Der Waldgang, 07.02.2022

Ich gehe durch den Wald. Mein Leben ist wie ein Gang durch einen Wald, und dieser Gang ist ewig, weil der Wald ewig ist. Schon seit ich mich erinnern kann, gehe ich durch diesen Wald, und ich erinnere mich schon immer. Schon am Anfang der Zeit, den sie nie genommen hat, ging ich durch diesen Wald und noch an ihrem Ende, das sie nie nehmen wird, werde ich durch ihn gehen. Alles glüht in den Farben eines Herbstes, der nie vergeht, im Licht einer Dämmerung, die nie hereinbrechen wird. Ich gehe wie in Dunkelheiten, wie in Untergänge, wissend, dass sich nichts verdunkelt, nichts untergeht. Unaufhörlich fallen bunte Blätter von den Bäumen, die sich nie entlauben, und ich betrachte sie mit einer Melancholie, die trivial ist, weil sie keinen Gegenstand hat. Ich sehne mich danach eine Unwirklichkeit zu verwirklichen, ohne Wirklichkeit zu werden, danach eine Fremde zu erreichen, die ich nicht erreichen will, weil sie nicht mehr fremd wäre. Ich beweine den Verlust von Dingen, die ich nie besaß, weil es sie nie gegeben hat, noch je geben wird. Dieser Wald wird mich über seine zweifellose Unendlichkeit ewig in Zweifel halten. Das Universum ist ein Wald, ist Zwielicht der Stämme, ist Rauschen der Blätter im Wind. Was ist ein Wald? Sind es die Wurzeln auf dem Grund? Die Borke, die sich von den Bäumen schält und verrottet? Das von Käfern zersetzte Totholz? Ist es der Ast unter dem Himmel, oder die Zweige daran oder ihr feuchtes Laub oder der davon auf meinen Kopf fallende Tropfen oder die Ausdehnung meiner Seele? Ich bin nichts, nur der Zusammenhang der Dinge. Ich werde nicht ermüden, weil ich schon immer müde war, ich werde nicht sterben, weil ich nie gelebt habe. Es gibt einen Weg, aber kein Ziel, und ich werde diesen Weg bis an sein Ende gehen, das er nie erreichen wird. Aus großer Höhe betrachte ich die Unendlichkeit des Blätterdachs und mich selbst, der darunter hingeht, voller Furcht im Wald und voller Hoffnung, und das Gelächter, das ich über mich selbst ausgieße ist das Rauschen welken Laubes, darin der Wind spielt.

IV. Die Verwandlung, 24.01.2022

Ein bedeutender Schriftsteller, nach eigener Meinung und vielleicht tatsächlich der bedeutendste seiner Zeit, litt schwer daran, als einziger Mensch der Welt seine Texte nicht unbefangen lesen zu können, sie als einziger nicht von außen, sondern immer nur von innen betrachten zu können, wie der eingemauerte Bauherr eines prunkvollen Schlosses. Als er also sein größtes, sein bedeutendstes, sein Hauptwerk fertiggestellt hatte, ging er in das Krankenhaus und ließ sich von den Ärzten ein starkes Nervengift verabreichen, das wie beabsichtigt seine Erinnerung vollkommen auslöschte. Als der verwirrt und ahnungslos aus dem künstlichen Koma erwachende von den Ärzten über seine Lage aufgeklärt wurde, entgegnete er: So einen Unsinn habe er noch gar nie gehört! Von seiner Frau, die ihm nichts sagte, trennte er sich und kehrte zu dem Ausbildungsberuf seiner Jugend zurück, er hatte nämlich Landschaftsgärtner gelernt. In seinem zweiten Leben beschäftigte er sich nicht mehr mit Literatur, sondern verbrachte die Abende vor dem Fernseher und mit dem Kartenspiel, er hat auch, wie gesagt wird, nie wieder etwas geschrieben außer seiner Steuererklärung.

III. Eine Philosophie-Studentin, 10.01.2022

Als wir aufbrachen, war der Himmel lichtdurchflutet und von einem eigentümlich tiefen Blau zugleich. Niemand begegnete uns, während wir durch Wälder von Aloe und Sandelholz die Klippen bestiegen. Lediglich die Insekten, zu winzig um Hitze in sich anzustauen, widerstanden zwischen den Blüten umhersurrend der allgemeinen Trägheit. Selbst den trockenen Sträuchern glühte es ätherische Dornendünste aus. Vom Kamm aus sahen wir das grüne Wasser der einsamen Bucht, dahinter das dunkle Ultramarin der See und schließlich die Gestade des Horizonts, an der zwei unterschiedslose Schattierungen aufeinandertrafen. Wie von der eigenen Schwere gezogen, sank duftgeschwängerte Luft die üppig bewachsenen Steilwände hinab, um betörend flirrend über der Bucht zu verharren. Die Sonne stand bereits im Zenit. Wir zogen unsere Multifunktionswäsche aus und streiften durch die Wärme des Lichts, unsere Haut war braun und fest, wirklichkeitsgegerbt, sonnenwindtrunken. Von der Wanderung erhitzt kühlten wir uns im Wasser, dann gruben wir uns in den warmen Sand des Palmenschattens. Ein leichter Wind ging, schwül und doch erfrischend, weil unter seinem Anhauch die Nässe auf der Haut verdunstete. Die Augen fielen uns zu, und wenn man sie nach Ewigkeiten wieder öffnete, so schien sich die weit draußen vorüberziehende Jacht nicht bewegt zu haben. Von Morgen und Abend betrachtet, ist der Mittag nur eine dünne Linie, doch aus sich selbst unermesslich. Nachdem wir uns geliebt hatten, diskutierten wir den ontologischen Status der Röte. In gewissem Sinn war das ein Abstieg, doch über diesen Sinn vermochten wir uns nicht zu einigen. Ein Tintenfisch war aus der Tiefe emporgestiegen, und seine zahllosen Arme weideten in blinder Gier den flachen Grund ab.

II. Jungfernzeugung, 27.12.2021

Während der einsamen Jahre meines Studiums verdiente ich ein Zubrot als Samenspender; so konnte ich mir eine kleine Wohnung im obersten Stock einer Mietskaserne leisten. Natürlich benötigt man dafür ausgezeichnetes Sperma, mein Sperma ist ausgezeichnet, es zeugt zuverlässig blonde, mutmaßlich gesunde, mutmaßlich intelligente Kinder. Meine Studien interessierten mich nicht eigentlich, andererseits war ich auch nicht so dumm, dass ich viel Zeit auf sie hätte verwenden müssen. Im Grunde war ich ein sozial angesehener Arbeitsloser. Die freie Zeit wusste ich allerdings nicht zu nutzen, die Einsamkeit langweilt mich, noch mehr aber der Verkehr mit Menschen: In Gegenwart von dümmeren Menschen langweile ich mich, in der von Intelligenteren bin ich gehemmt. Mein Unglück ist, dass ich die Intelligenz von Menschen zu genau beurteile, nie finde ich einen Ebenbürtigen, immer sind sie etwas dümmer oder etwas intelligenter.

Deshalb beschloss ich, den vermittelten Verkehr mit Menschen zu pflegen, den Verkehr über die Jahrhunderte hinweg, den Verkehr mit Toten, mit einem Wort: Die Literatur. Ich beschloss, ein Buch zu schreiben, ein bedeutendes Werk. Man muss bedenken, dachte ich, dass man das Produkt einer lückenlos geschlossenen Kette von mindestens vierhundert Millionen Jahren sexueller Fortpflanzung ist. Man muss sich vorstellen, dass diese Ahnenreihe über die Zellteilung hinaufreicht an die Urzeugung allen Lebens, die ein Mysterium ist. Man muss sich vollkommen klar sein über seine Stellung im Kosmos und dann alles verklingen lassen in der glockenreinen Poesie eines Kastraten… Wie jedes bedeutende Werk hatte auch meines eine autobiographische Grundierung: Der Protagonist war ein erfolgreicher, einsamer, alter, unglücklicher Schriftsteller. Ihn besuchte ein junges, progressives, literaturbegeistertes, lesbisches Paar, in der Absicht, ihr gemeinsames Kind von ihm zeugen zu lassen – „wegen ihrer allgemein anerkannten Genialität“, wie ich mich sie sagen zu lassen nicht scheute. Der Schriftsteller, dieses alte, verkommene, geile Schwein (da habe ich mich selbst porträtiert!) ließ sich darauf ein, in der Absicht möglichst viel für sich herauszuschlagen, während die beiden Mädchen immer nur auf sein Sperma aus waren. Mir gelangen Szenen von drastischer Erotik, grotesker Komik und ergreifender Traurigkeit zugleich! Dazwischen essayistische Dialoge über Literatur, Liebe, Gesellschaft, Gleichberechtigung usw. Zwischen den pornographischen Szenen erbitterte Auseinandersetzungen zwischen den Feministinnen und dem Reaktionär (Hommage an Houellebecq, aber hässlicher als Houellebecq). In der Schlussszene sollte der Schriftsteller einsam, erschöpft und vollkommen leer zurückbleiben, während die geschwängerten Lesben davonfuhren in die Morgenröte einer herrlichen Zukunft.

Es kam allerdings nie dazu, denn eines Abends – ich hatte bereits 20 oder 25 Seiten verfasst – erkannte ich plötzlich in dem ganzen Text nur eine alberne, widerwärtige, abgrundtief peinliche Altmännerphantasie, eine pornographische Houellebecq-Travestie minderwertigster Art. Viermal Sperma in einem Absatz, dachte ich, und Schamröte stieg mir ins Gesicht. Ich löschte die Datei, trat ans Fenster meiner Mietskasernen-Wohnung und schaute mit starrem Blick herab auf die Studenten und Stadtbewohner, die ihren abendlichen Zielen zustrebten. Im Grunde ist es lächerlich zu schreiben, dachte ich, eine Persönlichkeit meiner Bedeutung sollte wenigstens Samenspender sein.

I. Der richtige Bus, 11.12.2021

Unter den Menschen, die verschlossen im Bus saßen, erschrak plötzlich einer, weil er im falschen Bus saß. Unvermittelt war der Bus vom richtigen Weg abgewichen, und erst daran hatte ich bemerkt, im falschen Bus zu sitzen. Niemals war das geschehen. Natürlich hätte ich an der nächsten Haltestelle aussteigen und zurückrennen können, doch daran dachte ich gar nicht. Ich werde den Termin versäumen; gekündigt werden vielleicht, dachte ich. Vielleicht war ich unbewusst in den falschen Bus gestiegen, um gekündigt zu werden, dachte ich; vielleicht aber auch nur aus Dummheit und aus Unwissenheit. Ich bin ja immer dumm und unwissend gewesen, dachte ich, und nur aus Glück, nur aus Zufall wird es erst jetzt entlarvt. Mein In-der-Welt-sein ist ja eigentlich immer nur ein Im-falschen-Bus-sein gewesen, dachte ich, und erst nach einem Vierteljahrhundert hatte ich es bemerkt. Müdigkeit überkam mich, und ich lehnte mich zurück in die Wärme dieser Müdigkeit, während draußen die Landschaft in traumhafter Luzidität vorbeizog. Ich fuhr bis zur Endhaltestelle, an der ich noch nie gewesen war, dann stieg ich aus. Die Vormittagssonne schien durch einige Wolken auf einen Brunnen, der von Linden umstanden war, in deren Zweigen kleine Vögel zwitscherten. Einen Augenblick sah ich mich um, dann ging ich nach einem Café, darin die verschiedensten Leute bei einem verspäteten Frühstück saßen.

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