10 Jahre nichts – und dann liefern Rammstein auf den Punkt. Zweistellige Millionen-Klick-Zahlen und ein fast zehnminütiges Video, das sowohl deutsche Rechte als auch Linke triggert, bzw. vielleicht etwas vorschnell beruhigt. Dabei ist das Werk erheblich vielschichtiger, als es das zur schnellen Reaktion gezwungene Feuilleton überhaupt erfassen kann.
Vorweg: Rammstein haben es immer verstanden alle Seiten zu bedienen. Das Feuilleton, das von dem martialischen Auftreten der Band fasziniert und abgestoßen war und die Masse an Fans, die sich immer wieder neue Tabubrüche erhofften und auch nicht böse waren, wenn gegen den „common sense“ der political correctness verstoßen wurde. Viele wünschten sich sogar ein eindeutigeres Bekenntnis von Rammstein zu irgendetwas.
Rammstein – die kleinen Laibachs
Die Band hat es immer geschickt verstanden, ihre Werke nicht oder nicht zu stark zu kommentieren. Darin sind sie sich mit ihrem Vorbild Laibach einig, auch wenn beide Gruppen keinesfalls vergleichbar sind. Till Lindemann & Co haben damit immer die Möglichkeit von Überinterpretationen gelassen, die sicherlich auch bei ihrem aktuellen Video geballt auftreten werden. Nicht umsonst haben die Bandmitglieder nicht nur einmal erklärt, sie selbst würden ihren Stücken gar nicht so viel Tiefgang zuschreiben. Möglicherweise auch Teil der Verkaufsstrategie.
Es hat auch auf den ersten Blick eindeutige politische Bekenntnisse von Rammstein gegeben. Was waren alle beruhigt, als die Band nach vielen Diskussionen über ihre potentielle Rechtslastigkeit im Jahr 2001 das Stück „Links 2, 3, 4“ veröffentlichte, das allgemein als politische Verortung gewertet wurde. Das Video dazu allerdings zeigt Aufnahmen aus einem animierten Ameisenstaat, marschierende Ameisen, die das Rammstein-Kreuz bilden. Zwei Stücke später findet sich auf dem Album „Mutter“ das Stück „Ich will“, in dem der Sänger die bedingungslose Gefolgschaft seiner Zuhörer („Wir wollen, daß ihr uns vertraut, wir wollen, daß ihr uns alles glaubt!“) einfordert. Kann man das dann auch als politisches Statement werten?
„Deutschland“ – eine Bilderorgie
Das neue Video zur Single „Deutschland“ bietet mit seinen über neun Minuten Länge, der bombastischen Bilderflut und der Teilung in zwei musikalisch und bildlich unterschiedliche Abschnitte reichlich Deutungsmöglichkeiten. Die bisherigen Deutungen und Kritiken sind daher notwendigerweise unvollständig oder konzentrieren sich auf Aspekte, die das ganze Video nicht erklären können oder sogar an anderen Stellen unterlaufen werden.
Zunächst erschlägt das Video den Betrachter mit einer Orgie schnell aufeinanderfolgender Bilder aus unterschiedlichen Epochen der deutschen Geschichte. Chaotisch, wild, ungeordnet und eklektisch. Auch wenn mancher Rammstein-Text schon einmal intelligenter war, im Zusammenspiel mit dem Video bleibt zunächst eine durchaus positive Verwirrung. Vielleicht ist der Vergleich zu hoch gegriffen, aber man fühlt sich an einen magischen Realismus, an die den Betrachter einsaugende Wirkung des Bauernkriegspanoramas eines Werner Tübkes oder an die Allegorien Neo Rauchs erinnert, nur daß die Grundstimmung und Farbgebung in Rammsteins Video fast durchgehend kalt und abweisend ist.
Die neue Germania – nicht Beschützerin sondern Mörderin?
Kalt, abweisend, ja böse ist auch die in der Regel als Germania identifizierte schwarze Frau in dem Video. Sie hat so gar nichts von der zwar wehrhaften aber doch sehr mütterlichen und beschützenden Germania an sich, die aus den Darstellungen des 18. bis 20. Jahrhunderts bekannt sind. Die neue schwarze Germania ist eine in ihr Gegenteil verkehrte Nationalallegorie. Auch ihre Attribute und Kleidung im Film erinnern selten an klassische Germania-Darstellungen. Außerdem sitzt sie in einer der ersten Szenen im Rollstuhl, ist also aus eigener Kraft nicht mehr bewegungsfähig.
In mehreren Szenen trägt diese Frau den Kopf Till Lindemanns unter dem Arm. Lindemann, muskelbepackter Sänger der Band, verkörpert vor allem im Ausland, besonders in den USA, das Klischee des hypermaskulinen Teutonen. Die neue Germania macht damit Schluß. Es ist natürlich nicht gerade neu, daß Lindemann in Rammstein-Videos stirbt („Ohne dich“, „Rosenrot“, „Haifisch“ hier nur als kleine Auswahl). Der Unterschied in diesem Video ist aber offensichtlich. Der abgetrennte Kopf gehört keiner konkret handelnden Person, sondern kann als Metapher gelesen werden.
In der letzten Szene, in der Germania Lindemanns Kopf unter dem Arm trägt, steht sie inmitten von Ruinen. Sie schaut als gekrönte Königin – mit einer Halskrause, die man eher der spanischen Mode zuschreiben würde – in eine unbestimmte Ferne. Macht hat sie nur über die Ruinen. Es gibt sonst nichts mehr.
Deutschland – Du endest!
Diese Grundstimmung, dieses Hinwirken auf ein Ende zieht sich durch das ganze Stück. Die Grundstimmung ist traurig, nicht nur durch die Bilder, sondern auch durch Text und Musik verdeutlicht. Hier endet etwas. Die Figuren der deutschen Geschichte, die Germania zu Beginn des Stückes durch den Stoß ihrer Fahne auf den Boden geweckt hat, bewegen sich immer schneller auf den Untergang, auf orgiastische und bürgerkriegsähnliche Szenen (Molotow-Cocktails) zu und sind in der letzten Szene zu Standbildern erstarrt.
Untermauert wird dieser Eindruck des „Finis Germaniae“ (oder Finis Germania) durch den Sarg, in dem Germania ins All fliegt und das unmissverständliche Fraktur-Statement ENDE zum Schluß des Clips. Musikalisch unterstützt wird dieses Ende noch von der Piano-Version des Rammsteinstücks Sonne aus dem Jahr 2001. Ursprünglich geschrieben als „Kämpferlied“ für die Klitschko-Brüder strahlt es in der getragenen Piano-Version nichts antreibendes mehr aus und könnte auf jeder Beerdigung gespielt werden. Das „jung(e) und doch so alt(e)“ Deutschland“, dessen 2000-jährige Geschichte – wenn man zu den Ursprüngen zurückgeht – trotz aller Dekonstruktionsversuche nicht vergehen mag, ist dem Untergang geweiht.
Ein neues Deutschland (ist das dann noch Deutschland?), das keineswegs positiv konnotiert ist und mit dem alten nichts zu tun hat, steht bereit. Dargestellt wird dies u. a. durch die mit Goldketten behangene Germania-Rapperin. Mit Schäferhunden – den „deutschen“ Hunden schlechthin, gezähmt und an die Leine gelegt – und gedeckt von der Polizei (dem Polizeistaat?) schreitet sie lasziv auf den Betrachter zu.
Kein „Right or Wrong – My Country“
Nicht zuletzt beim Gesang bleiben die Fragen offen, welches Deutschland Lindemann denn nicht lieben kann. Ist es das gesamte Deutschland? Oder das Deutschland der dargestellten finsteren Kapitel der Geschichte? Ist es das sich neu entwickelnde Deutschland, mit der neuen „Germania“ als Identifikationsfigur?
Eine grundsätzliche Sympathie und ein sich Identifizierenwollen lassen sich in jedem Fall herauslesen. Nicht zuletzt ist es auch typisch deutsch sich immer wieder ambivalent zu seinem eigenen Land zu verhalten und ihm eben keine unbedingte Liebe entgegenbringen zu können.
Insgesamt bleiben mehr Fragen offen oder sind noch nicht gestellt worden. Kann die parallele Darstellung der Hinrichtung von KZ-Insassen und des Starts der V2-Raketen auf die Parallelität von Barbarei und Moderne im Nationalsozialismus gelesen werden? Welche Bedeutung hat die Wurst- Bier- und Sauerkraut-Orgie als absoluter Übertreibung des deutschen Klischee-Essens, die die Mönche auf oder aus der Germania feiern? Und ist die Anfangsmelodie bewußt als Referenz an Anne Clarks Stück „Our Darkness“ (Zitate, natürlich völlig aus dem Zusammenhang gerissen: „But there’s no room for ideals in this mechanical place“, „Do you think our desires still burn“, There has to be passion, A passion for living, surviving“) gewählt?
Die Freiheit, sich die eigene Deutung zu suchen
Rammstein überlassen es am Ende dem Zuschauer / -hörer, was er aus dem Stück machen möchte. Mit Sicherheit ist das auch finanziell ein sehr einträgliches Konzept, weil es letztlich kaum jemanden verschreckt und jeder sich freuen kann, dass Rammstein genau seine Vorstellungen bedienen. In Zeiten, in denen Künstler sich vor allem durch klare Botschaften und Haltungen auszuzeichnen haben, darf man sich über genau diese Freiheit aber auch etwas freuen.