Geschwister soll man nicht trennen, und Zwillinge schon gar nicht, doch gerade in der Kunst ist dies nur zu häufig der Fall, findet man doch ganze Gemäldezyklen über den Erdkreis verstreut und die kompositorischen Intentionen der Künstler demnach häufig missachtet. So erging es auch Anselm Feuerbach und seinen „Zwillingen“ – ‚Amazonenschlacht‘ und ‚Gastmahl‘ – welche der Künstler während eines längeren Aufenthalts in Rom über die Jahre 1870-73 schuf.
— Ein Besuch bei den Geschwistern in Nürnberg und Berlin —
‚Das Gastmahl‘ in Berlin
Es ist schon bezeichnend, wenn ein Gemälde nur im Treppenhaus Platz finden kann – geschuldet ist dies wohl vor allem der Größe, dem „Ausmaß“. Denn mit seinen 4 Metern Höhe und 7,5 Metern Länge vermöchten nur wenige Räume der Alten Nationalgalerie diesem Werk Anselm Feuerbachs gebührend Rechnung zu tragen. Umrahmt von Säulen findet der Blick des Betrachters es heute über eine Balustrade hinweg oberhalb des Treppenaufgangs im 2. Stock: ein würdiger Blickfang, auch weil Bild und Raum durch die Säulen auf und vor der Leinwand so miteinander korrespondieren, dass für den Besucher ein regelrechter Sog entstehen kann. Einzig die Humboldtvase steht dabei im Weg, welche der Naturforscher 1830 von Zar Nikolaus I. als Ehrengeschenk zum Abschluss seiner Russlandreise erhielt.
Denkt der kundige Leser Platos angesichts des Namens etwa an die besprochene Mannigfaltigkeit des Eros, fing Feuerbach in seinem Werk den Moment des Symposiums ein, da Alkibiades – Feldherr und Lebemann – mitsamt Festgesellschaft dionysisch berauscht in den Kreis des intellektuellen Austauschs platzt. Der spannungsvolle Gegensatz zwischen Apollinischem und Dionysischen könnte kaum größer sein, wobei Feuerbach dem Apollinischen klar den Vorzug gibt: Nike, ihres Zeichens Göttin des Sieges (jüngeren Generationen namentlich in Form einer gewissen Schuh-Marke bekannt), erhebt aus ihrer Nische heraus den Siegeskranz, den Kreis der Denker ehrend, welche sich der Konversation enthielten und dem Wein stattdessen umso intensiver zusprachen. Durchbrochen wird die angestaute Spannung schließlich durch den Gastgeber Agathon, welcher den Ankömmling willkommen heißt.
Das Gemälde wurde 1879 für den Bestand der Galerie erworben, wenn auch nicht – wie vom Künstler beabsichtigt – mitsamt des Zwillings. Dabei betrug der schlussendliche Kaufpreis nur mehr weniger als die Hälfte der ursprünglich veranschlagten Summe. Das Treppenhaus als Platz der Wahl, an dem die Sicht teilweise von der Treppe versperrt war, fiel sehr zum Missbehagen des zunehmend verbitterten Künstlers aus.
Ein anderer Grund für Feuerbachs Verstimmung mag auch die Kritik an seinem Zwillingspaar gewesen sein, das den Geschmack der Zeit – zumindest den der Kritiker – nicht traf. Anerkennung erfuhr es erst Jahrzehnte später, etwa auf Ausstellungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts – und nicht nur in Berlin. Davon zeugt auch ein längerer Nachkriegs-Aufenthalt in den Tresoren Moskaus, wo es dreizehn Jahre in sowjetischer Hand verblieb, bis es schließlich nach seiner Rückkehr den heutigen Platz einnahm. Ein ähnliches Schicksal war auch der ‚Amazonenschlacht‘ beschieden.
Nürnberg – ‚Die Amazonenschlacht‘
Dieses Gemälde wollte überhaupt keinen Käufer finden, bis es schließlich über die Feuerbachs Stiefmutter, welche den Maler nach dessen Tod in Venedig auf dem Johannisfriedhof in Nürnberg – unweit von Dürer – bestatten ließ, als Geschenk in den Besitz der Stadt Nürnberg überging. Zunächst fand es Ausstellung in den Städtischen Kunstsammlungen, bis Adolf Hitler persönlich 1936 deren Verlegung in das Nürnberger Opernhaus arrangierte. Hitler, am Rande der Reichsparteitage regelmäßiger Gast der Oper, sah in der ‚Amazonenschlacht‘ eine mustergültige Darstellung kämpfender Kraftmenschen und wählte das Foyer als Ehrenplatz. Dort blieb das Bild, überstand Krieg und Wiederaufbau, um schließlich im Rahmen von Sanierungsarbeiten in das Germanische Nationalmuseum umzuziehen.
Hier nun, im 3. Obergeschoss, Abteilung der Kunst des 19. Jahrhunderts, ziert es unangefochten die Stirnseite des Saals, eine porzellanbekrönte Polsterbank lädt den Besucher zum Sitzen ein. Nach den zahlreichen Treppen und Gängen des ehemaligen Kartäuserklosters kommt das gerade recht – und vielleicht mag auch und gerade ein Zustand dezenter Ermattung dazu beitragen, sich den lebensgroßen, in der Schlacht gefallenen Gestalten auf der Leinwand verbunden zu fühlen.
Die Protagonisten scheinen ermüdet, die Kampfhandlungen zäh, fast wie in den letzten Zügen – Gefallene wie Verwundete dominieren das Zentrum. Der Kampf der Amazonen, welche – in die Linien der griechischen Belagerer einfallend – ihren trojanischen Bundesgenossen zu Hilfe eilen, war ebenso vergeblich wie Feuerbachs Hoffen auf angemessene Würdigung: So fand während einer Ausstellung in Wien etwa ein Professor in seinen Vorlesungen wortreichen Spott für die Ausführung anatomischer Feinheiten.
In Nürnberg ist man sich der Verbindung der Zwillinge durchaus bewusst: wie auch die Text-Stele, so verweist ein anderes Kunstwerk unweit der Schlacht auf die Heimat des ‚Gastmahls‘: ein – nach Eduard Müllers marmornem Original gefertigter – Zinkguss der Gruppe „Prometheus, beklagt von den Okenaiden“, welcher den Eingang der Alten Nationalgalerie gemeinsam mit Reinhold Begas‘ „Merkur und Psyche“ flankiert.
Die Zwillinge
Feuerbachs Geschwisterbilder sind, wenn man an der Familien-Metaphorik festhalten mag, nicht die ersten eines Wurfes, sondern sowohl Zwillinge als auch Zweitversionen; in Karlsruhe etwa findet sich das erste ‚Gastmahl‘, in Berlin zählte man die Erstversion der ‚Amazonenschlacht‘ zum Bestand und letztlich auch zum Kriegsverlust.
Sie entstanden während eines längeren Aufenthalts Feuerbachs in Rom, antike Sarkophage wie auch Werke Michelangelos standen Pate. Feuerbach arbeitete ab 1870 an beiden gleichzeitig und sah sie als Gipfel seines künstlerischen Schaffens an, er selbst nannte sie „die Zwillinge“. Doch fanden sie seinerzeit wenig Gnade vor den Augen der Betrachter: zu kalt das ‚Gastmahl‘, zu kraftlos die Szenerie der ‚Amazonenschlacht‘ für den Publikumsgeschmack der von Aufbruchstimmung geprägten Gründerjahre.
Der Wunsch des Malers, ‚Gastmahl‘ und ‚Amazonenschlacht‘ in einem Raum, dem Boden nah und einander gegenüberliegend ausgestellt zu sehen, erfüllte sich nur ein einziges Mal im Berliner Kunstsalon Louis Sachse. Es sollte dem Betrachter die Möglichkeit geben, mit dem Geschehen der beiden Bilder zu verschmelzen: sich in der Darstellung menschlicher Gegensätze, ihrer Spannung und Überwindung, hinführen zu lassen zu einem „Erkenne dich selbst.“
‚Amazonenschlacht‘ und ‚Gastmahl‘, Feuerbachs Zwillinge und Zweitversionen, Geschwister im Werden, Ausdruck von Polarität und Komplementarität: werden sie je wieder zueinanderfinden? Vielleicht ja zum Ende der Dekade, wenn der Künstler seinen 200. Geburtstag feiert. Dem Autor wäre es in jedem Fall eine Reise wert.