Yukio Mishima – Der Einklang von Feder und Schwert

Der Name des japanischen Schriftstellers Yukio Mishima ist den meisten Menschen heute vor allem im Zusammenhang mit den außergewöhnlichen Umständen seines Todes bekannt:

Am 25. November 1970 verschaffte sich der damals 45-Jährige Mishima gemeinsam mit vier Verbündeten Zutritt zum Hauptquartier der japanischen Selbstverteidigungsstreitkräfte in Tokio, wo er den befehlshabenden General in dessen Büro als Geisel nahm und die Gelegenheit einforderte, vor der versammelten Mannschaft der Kaserne zu sprechen. Gerüstet mit der traditionellen Waffe des japanischen Kriegerstandes, dem Katana, und gekleidet in eine eigenhändig entworfene Uniform, trat Mishima sodann vor die japanischen Soldaten und versuchte, diese mit einer leidenschaftlichen Ansprache an das klassische Krieger-Ideal der Samurai zu erinnern und dazu zu bewegen, durch einen militärischen Putsch die rechtmäßige Autorität des Tennō, des japanischen Kaisers, wiederherzustellen. Sein brennender Appell stieß jedoch auf taube Ohren und wurde von den anwesenden Soldaten und Schaulustigen mit Gleichgültigkeit und Spott quittiert.

Scheinbar ungerührt von diesem Ausgang kehrte Mishima daraufhin zu seinen Kameraden zurück und vollendete seinen Auftritt, indem er sich nach dem Ritus des japanischen Schwertadels durch das zeremonielle Aufschneiden des eigenen Bauches und anschließende Enthauptung durch einen seiner Mitstreiter (Seppuku) das Leben nahm. Noch am Tag zuvor hatte der Autor am Höhepunkt seiner Karriere die Arbeit an seinem letzten Roman („Die Todesmale des Engels“) beendet und damit sein literarisches magnum opus, die vierteilige Roman-Reihe „Das Meer der Fruchtbarkeit“, abgeschlossen.

Wort und Fleisch

Bei einer eingehenden Auseinandersetzung mit Mishimas Leben und Werk wird offenkundig, dass all sein Schaffen letztlich auf jenen finalen, extravaganten und von Anfang an zum Scheitern verurteilten Akt des ästhetischen Widerstandes hinauslief.

Zeit seines Lebens war die Persönlichkeit des im Jahr 1925 unter dem Namen Hiraoka Kimitake geborenen Schriftstellers geprägt von widerstrebenden Tendenzen und inneren Spannungen. Seine Kindheit verbrachte er als kränklicher und zurückgezogener Junge unter der Ägide seiner Großmutter, die ihm jeglichen Kontakt mit gleichaltrigen Buben untersagte und ihn in einem feminin dominierten Umfeld großzog. Diese Jahre der sozialen Isolation förderten zum einen Mishimas lebenslange Leidenschaft für Literatur und Sprache, zugleich entwickelte der sensible und in sich verschlossene junge Mann jedoch eine eigentümliche Faszination für heroische, maskuline Formen und Figuren. Mit der Fixierung auf die Ästhetik des männlichen Körpers beschäftigt sich auch der 1949 erschienene, autobiographische Roman „Geständnis einer Maske“, welcher Mishimas latente Homosexualität zum Thema machte und dem jungen Autor im Alter von 24 Jahren zum literarischen Durchbruch verhalf. Von den Kampfhandlungen des Zweiten Weltkrieges war der Heranwachsende aufgrund einer bei der Musterung fehldiagnostizierten Tuberkulose ausgeschlossen worden – ein Umstand, der noch jahrelang schwer auf seinem Gewissen lasten sollte.

Der stetige Konflikt zwischen der abstrakten Welt der Worte, die Mishima von Kindesbeinen an in ihren Bann zog, und der konkreten Realität des Körpers, den er durch Worte verklärt hatte, drängte den jungen Mann schließlich dazu, sich selbst einer grundlegenden Transformation zu unterziehen, welche er in seinem berühmt-berüchtigten Essay „Sonne & Stahl“ dokumentierte: Zunehmend ließ Mishima das nächtliche Dasein des Schriftstellers hinter sich und begann, seinen Körper bei Tageslicht durch intensives Krafttraining, Kampfkunst und Schwertkampf zu stählen. Durch diese gezielte Suche nach leiblicher Anstrengung, Schmerz und männlicher Kraftentfaltung strebte er danach, die Schwäche seiner Kindheit zu überwinden und der subjektiven Versenkung des Künstlers die objektive, strahlende Disziplin des Kriegers entgegenzusetzen. Das unmittelbare Erlebnis seiner eigenen physischen Existenz wurde somit zum maßgeblichen Wendepunkt im Leben des jungen Mannes. Fortan sollte der Körper nicht mehr nur das Objekt seiner künstlerischen Verehrung sein, sondern lebendiger Werkstoff seiner Arbeit.

Zugleich begegnete Mishima in der Herausforderung des physischen Kampfes auch zum ersten Mal von Angesicht zu Angesicht seinem wichtigsten Mentor: dem Tod.

1953 (wikimedia commons).

Schönheit und Tod

Das literarische Werk Yukio Mishimas umfasst dutzende Romane, Kurzgeschichten, Essays, Gedichte sowie traditionelle japanische Bühnenstücke (Nō) und brachte ihm insgesamt dreimal die Kandidatur für den Literatur-Nobelpreis ein. Die Motive, die sich als roter Faden durch sein gesamtes Schaffen verfolgen lassen, sind vor allem die innige Verehrung der traditionellen japanischen Kultur, der Schönheit und des Todes.

Viele seiner Werke ziehen ihre Inspiration direkt aus der klassischen Kunst seines Heimatlandes und illustrieren den Verfall von schlichter Anmut, selbstloser Treue und maskuliner Tugend im Angesicht der individualistischen Zivilisation des Westens. Nichtsdestotrotz war Mishima auch eng mit der westlichen Kultur vertraut; er sprach u.a. fließend Deutsch und Englisch und seine Romane zeigen deutlich den Einfluss von Autoren wie Thomas Mann, Oscar Wilde oder Rainer Maria Rilke. Kein anderer Gedanke durchdringt Mishimas gesamtes Schaffen jedoch so tief wie seine Bewunderung und Idealisierung des heldenhaften Todes, den er vor allem in der besonderen japanischen Form des rituellen Suizids in Gestalt des Seppuku verwirklicht sah. In mannigfaltigen Varianten erzählte der Schriftsteller die Lebensgeschichten von Männern und Frauen, deren Schicksale im Licht eines symbolhaften Todes erstrahlen. Er selbst sehnte sich seit seiner Jugend danach, einst am Glanz eines solchen Opfers teilzuhaben, sah sich jedoch aufgrund seiner physischen Schwäche lange Zeit als unwürdig an, diesem Ideal zu entsprechen.

Das beste literarische Beispiel für Mishimas Todesfaszination findet sich wohl in seiner Kurzgeschichte mit dem Titel „Patriotismus“, die vom gemeinsamen feierlichen Suizid eines jungen Offiziers und seiner Ehefrau erzählt. In erschütternder Detailgenauigkeit schildert er hier den letzten Liebes- und Todesakt des Ehepaars als Ritus im Zeichen eines ästhetischen Ideals: Der junge Soldat wird vom Schicksal vor die Wahl gestellt, entweder gegen seine engsten Kameraden vorzugehen, die sich aufgrund eines politischen Konflikts gegen die militärische Führung erhoben haben, oder aus kameradschaftlicher Liebe seine Treuepflicht gegenüber dem Kaiser zu verletzen. Der Freitod wird dabei als aufrichtige Antwort auf diesen moralischen Konflikt gezeichnet und wie selbstverständlich teilt auch die junge Braut des Hauptakteurs freimütig dessen Schicksal. Mishima bezeichnete diese Erzählung mehrmals als seine Lieblingsgeschichte und in der wenige Jahre später unter seiner Regie entstandenen Verfilmung spielte er selbst die Hauptrolle.

Feder und Schwert

Im schönen, heroischen Sterben fand Mishima die makellose Symbiose der beiden Prinzipien, deren Vereinigung in seinen Augen das traditionelle Ideal der Samurai auszeichnete: Der Einklang von Kunst und Tat – die Harmonie von Feder und Schwert. Der vollendete Samurai sollte sein Leben nicht nur dem selbstlosen Kampf für seinen Herren widmen, sondern auch eine spirituelle Elite verkörpern und die Hingabe an die geistigen Ideale seines Standes als Priester, Dichter und Ästhet verwirklichen. Mishima, dessen erste Lebenshälfte ausschließlich durch die Feder und das Wort bestimmt worden war, versuchte deshalb bewusst, sich selbst zu einem Mann der Tat zu formen und auch das sinnbildliche Schwert zu seinem Instrument zu machen. Dieser Weg, der mit seinem persönlichen Bekenntnis zu Sonne und Stahl begonnen hatte, führte ihn schließlich auch in den politischen Aktivismus. Zunehmend trat er in Reden und Essays offen für die Erneuerung einer traditionellen japanischen Kultur ein, als deren zentrale Achse er die göttlichen Autorität des Tennō ansah, welche Kaiser Hirohito nach der Niederlage Japans im Zweiten Weltkrieg unter dem Zwang der amerikanischen Siegermacht hatte aufgeben müssen. Im Alter von 43 Jahren, zwei Jahre vor seinem Freitod, versammelte Mishima sogar eine kleine Privatmiliz um sich, deren knapp 100 Mitglieder sich aus rechten Studentenkreisen rekrutierten und die mit Unterstützung aus der japanischen Regierung von Mishima persönlich in militärischer und weltanschaulicher Disziplin ausgebildet wurden. Unter dem Namen Tate-no-kai („Schildgesellschaft“) trat die Gruppe öffentlich gegen den Kommunismus und für den Schutz der japanischen Tradition und der heiligen Kaiserwürde ein. Vier von Mishimas engsten Vertrauten aus diesen Reihen sollten ihren Kommandanten auch bei seiner letzten Tat begleiten, einer von ihnen sogar bis in den Tod.

Yukio Mishima and Shintaro Ishihara, 1956 (wikimedia commons).

Den jungen, westlichen Leser stellt Mishimas Stil heute zweifelsohne vor eine gewisse Herausforderung. Wie sein persönliches Leben bewegen sich auch Mishimas Schriften zwischen scheinbar widersprüchlichen Extremen: Klassischer japanischer Geist trifft auf moderne westliche Formen, blendende Schönheit auf schockierende Grausamkeit, heroischer Traditionalismus auf morbide Sexualität und Dekadenz. Doch ist es gerade der leidenschaftliche Tanz zwischen diesen Gegensätzen, der die Lektüre dieses außergewöhnlichen japanischen Literaten zu einer so eindrucksvollen Erfahrung macht. Den besten Einstieg in Mishimas Werk bietet dabei der Roman-Zyklus „Das Meer der Fruchtbarkeit“, welcher die Krönung seines literarischen Schaffens darstellt, insbesondere dessen erste zwei Teile „Schnee im Frühling“ und „Unter dem Sturmgott“.

Die Romane erzählen in vier Episoden im Zeitraum von 1912 bis 1975 aus dem Leben des Juristen Honda, welcher als Heranwachsender zum Zeugen des tragischen Lebensendes seines Freundes Kiyoaki wird und fortan dessen vermeintliche Wiedergeburten in anderen jungen Menschen vor dem Schicksal ihres verfrühten Todes zu bewahren sucht. Anhand der Dynamik zwischen seinem Hauptcharakter Honda, den Inkarnationen Kiyoakis und der jeweiligen Zeitepoche zeichnet Mishima ein schonungsloses Bild von der Transformation der japanischen Kultur nach ihrem Kontakt mit dem Westen. Der sensible Einzelgänger Kiyoaki wird dabei zum Symbol von Jugend, Leidenschaft und Schönheit, welche dem alternden Honda zunehmend entgleiten und damit zugleich zum Sinnbild der japanischen Seele im 20. Jahrhundert, die nach einem letzten stürmischen Aufbäumen in den 30er und 40er Jahren langsam der müden Übersättigung und unfruchtbaren Selbstgefälligkeit des westlichen Materialismus anheim fiel.

Traum und Tat

Im Lichte seines Lebens und Wirkens erscheint Mishimas Suizid letztlich als die große Entladung aller Spannungen und widerstreitenden Elemente in seiner Persönlichkeit. Es ist die Tat eines Träumers, der ein Leben lang mit sich selbst und mit der Zeit, in die er geboren war, im Konflikt stand – eine von langer Hand geplante, ästhetische Selbstinszenierung, deren hoffnungsloses Unterfangen von vornherein feststand. Es ist jedoch auch die Tat eines Kämpfers, der sich schonungslos eine ideale Form auferlegte und sich bis zum letzten Atemzug seine Autonomie erhielt. Erst mit jenem finalen Akt des Widerstandes vollendete Mishima sein Lebenswerk, indem er sich selbst zum blutigen Symbol seiner Kunst und Überzeugung machte.

So bietet Yukio Mishima das schillernde Beispiel eines glühenden Patrioten, außergewöhnlichen Künstlers und selbstbewussten Dandys, dem es gelang, der modernen Welt eine selbstbestimmte Haltung entgegenzusetzen und diese mit Entschlossenheit und Tatkraft bis zuletzt zu bewahren. Seine Reflexionen über das Verhältnis von Kunst und Tat sind von hohem Wert für all diejenigen, die nach Wegen suchen, diese beiden Pole in ihrem Leben zu vereinen, und seine Schriften gewähren uns einen tiefen Einblick in die aufgewühlte Seele eines Volkes, das uns in vielen Aspekten seines Wesens erstaunlich nahe steht.

„Ich will mein Leben zur Gedichtzeile machen…“

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