Es war einer jener sonderbaren Augenblicke der an Absonderlichkeiten nicht eben armen Menschheitsgeschichte, als der Mensch plötzlich sein Herz für die Natur entdeckte und sich zu ihrem Anwalt und Interessenvertreter aufschwang. Er tat dies, nachdem er selbst Jahrhunderttausende ein Opfer der Natur gewesen war – ihr auf Gedeih und Verderb ausgeliefert, immer in Gefahr, einem wilden Tier, Pestilenzen aller Art, einem reißenden Strom oder schlicht den Launen des Wetters zum Opfer zu fallen. Doch dann hatte sich die Sache gedreht.

Vom Opfer zum Täter: Eine kurzgefasste Geschichte der Menschheit

Nach und nach ersann der Mensch immer neue Schlichen und Finten, wie er diesen Gefahren entgehen konnte. Und dann kam der Tag, an dem er es fertig brachte, die Natur ganz und gar in seinen Dienst zu pressen: Er zwang die Erde zu fortwährender Fruchtbarkeit ihrer Böden und zur Preisgabe von Bodenschätzen, stellte jede sich als nützlich erweisende Tierart in seinen Dienst, machte wilde Ströme schiffbar, sprengte Gebirge fort, wo sie im Wege waren. Er eroberte das Meer und seine Tiefen und auch den Himmel. Um die dafür in immer größeren Mengen benötigten Energien zu erlangen, erfand er Kraftwerke aller Art.

All dies aber hinterließ Spuren auf der Erde: Bergwerke fraßen sich bis tief in ihr Inneres, Landschaften wurden durch Abraumhalden, Müll- und Klärschlammdeponien zur Unkenntlichkeit entstellt, einst herrlich dahinströmende Flüsse fanden sich als trübe Abwasserkanäle wieder, Wälder schwanden dahin, weil entweder das Holz oder die von ihnen beanspruchte Fläche oder beides benötigt wurden. Landwirtschaftliche Monokulturen machte den Einsatz giftiger Substanzen erforderlich, die zahlreiche Pflanzen- und Tierarten zum Verschwinden brachten. Die Erzeugung von Energie und Wärme aus fossilen Brennstoffen schließlich setzte ein Gemisch übler Gase frei.

Das Menschengeschlecht nahm unterdessen an Zahl immer weiter zu. Das Fehlen natürlicher Feinde, günstige klimatische Bedingungen, der erfolgreiche Kampf vor allem gegen Infektionskrankheiten und ein relativer Reichtum an Nahrung sorgten dafür, dass immer mehr Menschen den Planeten besiedelten und nach immer mehr Teilhabe an den erzeugten Gütern verlangten. Einsichtige Geister hatten seit langem schon erkannt, dass es ein böses Erwachen geben würde: Die Artenvielfalt wurde als bedroht, die natürlichen Ressourcen als endlich und die Natur im Ganzen als Opfer einer grenzenlosen Ausbeutung durch den Menschen erkannt. All das musste gestoppt werden.

So lasset uns gut werden

Der Mensch erkannte endlich das Verderbliche seines Tuns. Die Natur war gefährdet. Und mit ihr der Mensch selbst. Denn woher sollte seine Nahrung kommen, wenn alle Arten verschwunden, alle Böden und Flüsse vergiftet sein würden? Es war höchste Zeit für eine Umkehr.

Diese Umkehr hatte von Anfang an jedoch zwei Gesichter: Zum einen eine rationale Seite, zum anderen eine moralische Seite. Die rationale Seite betonte stets, dass das, was mit der Natur geschah, vor allem für den Menschen schlecht war und langfristig seinen Fortbestand gefährden würde: Verschwänden die Insekten, die Fische und die Wälder, würde es auch für ihn selbst schlecht ausgehen. Die Natur aber würde sich nach dem Verschwinden des Menschen von ganz allein erholen. Schließlich hatte sie über Hunderte Millionen von Jahre hinweg nichts anderes getan, als sich ständig neu zu erfinden und hatte alle globalen Katastrophen wie Asteroideneinschläge, Eiszeiten und Phasen eines massiven Vulkanismus überstanden.

Die moralische Seite hingegen betonte vor allem den bösartigen Charakter des menschlichen Tuns gegenüber einen wehr- und chancenlosen, überdies von sich aus auf Harmonie gestimmten Natur. Um sich zum Guten zu wenden, müsse der Mensch von allem Bösen ablassen und der Natur mit Liebe und in Harmonie gegenübertreten, sich mit ihr vereinen. Es entstand eine neue Tugendhaftigkeit, die alles Tun des Menschen mit Blick auf die Natur unter moralischem Gesichtspunkt beurteilte. Dass die Natur als solche amoralisch ist (also jedweder moralischer Regung gleichgültig gegenüber steht), zog man erst gar nicht in Betracht.

Der Sieg der Moral über die Rationalität

Wer nun glaubt, dass die Rationalität die besseren Waffen habe – die Schärfe des Urteils, die vorurteilsfreie Analyse aller Argumente und eine fundierte Sachkenntnis als Grundlage – täuscht sich. Diese Waffen erweisen sich als stumpf gegen die Moral, die, wo immer sie in Bedrängnis gerät, sogleich in Emotionalität und Empörung umschlägt, fast immer mit hysterischem Unterton. Jedes Verstandesurteil wird, wenn es nicht der Moral entspricht, an Ort und Stelle der kaltherzigen Barbarei bezichtigt.

Ein aktuelles Beispiel ist die Frage der Energieversorgung. Es gibt selbstverständlich gute Gründe darüber nachzudenken, ob Kohlestrom, Atomstrom, Erdöl und Erdgas auf lange Sicht die am besten geeigneten Energieformen darstellen. Es ist auch richtig, einen Wandel der klimatischen Rahmenbedingungen ernst zu nehmen. Es gibt aber ebenso treffliche Gründe, die heute an ihre Stelle tretenden sogenannten erneuerbaren Energien für ungeeignet zu halten – zum einen mit Blick auf die Versorgungssicherheit in einer energieabhängigen Industriegesellschaft, zum anderen mit Blick auf die ökologischen Folgen der nur scheinbar folgenlosen erneuerbaren Energien.

Rational wäre es, die Suche nach sicheren und ökologisch verantwortbaren Energieformen mit aller Macht voranzutreiben und vorläufig die bewährten Energieformen beizubehalten – und zwar so lange, bis sich aus Wissenschaft und Forschung eine echte Alternative ergeben hat. Aber die Moral hält dagegen – sie verabsolutiert das eigene diffuse Schuldgefühl gegenüber der Natur und will die erstbeste Lösung schnellstmöglich durchsetzen. Alle Hinweise auf die Untauglichkeit wie auch auf die ökologischen Schäden von Anlagen zur Erzeugung von Wind-, Wasser- und Bioenergie werden nicht nur ignoriert, sondern mit Denkverbot belegt. Denkverbote zu verhängen war seit jeher ein wichtiges Werkzeug der Moral, um ihre Macht zu stabilisieren.

Von der Tugend zur Tat – und von der Tat zum Terror?

Der Tugendhaftigkeit folgt die Tat – man setzt um, was einem von moralischer Seite geboten erscheint. Diese Tat ist wie die Tugend nicht hinterfragbar, geschieht sie doch im Namen des Guten. Nun gibt es aber gegen jede noch so gute Tat Widerstände der unterschiedlichsten Art. Es fängt an beim einfachen Desinteresse an den Werken der Guten und führt über die Weigerung, bei den Guten mitzutun, bis zum argumentativen Widerstand gegen die Moral der Guten.

Jetzt schlägt die Tat in den Terror um: Wollt ihr nicht hören, so sollt ihr fühlen. Nach dieser Devise sollen die Werke des Guten gewaltsam durchgesetzt werden – selbstverständlich nach wie vor unter dem Siegel der Tugend. Tugend und Terror waren schon immer in Harmonie vereint: Die Terroristen der RAF begriffen sich nicht als Schwerkriminelle, als Diebe, Brandstifter, Mörder und Erpresser, sondern als besonders eifrige Anwälte einer höheren Moral. Gewalt gegen Sachen oder Repräsentanten des „Schweinesystems“ wurde gerechtfertigt durch das hehre moralische Ziel.

Der Zweck heiligt die Mittel: Die Befreiung der unterdrückten Völker vom Joch des Kapitalismus damals, die Befreiung der Natur vom verderblichen Tun des Menschen heute. Noch ist der Ökoterrorismus nicht zur Entfaltung gelangt. Was sich seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts an gewaltsamem Protest gegen die Umweltzerstörung regte, übertrat bislang kaum jemals ernsthaft die Schwelle, die den zivilen Ungehorsam vom Terror trennt (sieht man einmal von Sachschäden und Nötigung ab).

Doch das gute Gewissen ist – bei gleichzeitiger Ausschaltung der Vernunft – zu mehr fähig. Noch haben die aktuellen Erscheinungsformen des radikalen Ökoprotestes wie der Widerstand im Hambacher Forst, die Frydays-for-Future-Bewegung und die Extinction Rebellion die rote Linie zum Terrorismus nicht überschritten. Aber ein Blick in die Physiognomien ihrer führenden Vertreter (Greta Thunberg und Roger Hallam mögen nur als Beispiele dienen) lässt erahnen, dass diese Menschen von einem Feuer höherer Moral beseelt sind, das als Fanatismus nicht nur sie selbst zerstören, sondern sich jederzeit zerstörerische Bahn brechen und zu einem Flächenbrand ausweiten kann.

Wenn schon Aktivismus, dann bitte mit aller Konsequenz

Der amerikanische Autor T.C. Boyle hat im Jahr 2000 mit „Ein Freund der Erde“ einen Roman veröffentlich, der tiefen Einblick gewährt in die Seelen der Ökokrieger. 2013 gab es dann einen ebenfalls aus den USA stammenden Film zu sehen, der das gleiche Thema aufgreift: Night Moves. Man lernt sowohl aus dem Buch wie auch aus dem Film viel über die Psychologie der Ökokrieger. Vor allem, dass sie sehr moralisch sind. Und die Moral hat aufgrund ihrer Tendenz, das eigene gute Gewissen niemals infrage zu stellen, die Eigenschaft, die wesentlichen Dinge zu übersehen.

Der Ökoaktivismus müsste, konsequent weitergedacht, im endlich auch gegen die Landschaftszerstörung durch Windenergieanlagen zu Felde ziehen, gegen Wasserkraftwerke und die Verstromung von Pflanzen protestieren und vor allem den Wahnsinn der E-Mobilität bekämpfen. Aber es geschieht nicht – es gibt keine Anschläge auf Windräder, niemand sabotiert Biogasanlagen, nicht einmal Demos oder Sitzblockaden finden statt, wenn wieder einmal einige Hektar Wald gerodet werden, um Platz zu schaffen für neue Windkraftwerke und die dafür nötigen Zuwege und Aufstellflächen. Im Gegenteil: Alle, die argumentativ gegen erneuerbare Energien vorgehen, werden bedroht, verteufelt und als Feinde der Menschheit wie der Natur ausgegeben. Hier offenbart sich ein weiterer Grundzug jeder Moral: Sie ist zutiefst heuchlerisch. Landschaftszerstörung und Ausrottung von Tier- und Pflanzenarten kann gut sein, wenn sie denn nur höheren Zwecken dient.

Zur Einsicht kommt es vor allem darum nicht, weil die Moral ihrem Wesen nach blind ist. Und genau deshalb wird auch jeder Ökoaktivismus und jeder Ökoterrorismus letzten Ende scheitern und das stärken, was er eigentlich zerstören wollte. Parallelen zum RAF-Terrorismus liegen auf der Hand: Nie war der Staat stärker als in Zeiten, in denen man ihn kraft einer guten Gesinnung zu Fall bringen wollte. In Fall des radikalen Ökoaktivismus unserer Tage ist zu erwarten, dass die Umweltzerstörung rasanter voranschreiten wird als je zuvor.

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