Kein Stauffenberg ohne George, Herr Adam?

Wie blickt der Gründungsvorsitzende der größten deutschen Oppositionspartei auf sein rasant den Kinderschuhen entwachsendes Projekt? Warum bestellt ein langjähriger FAZ-Redakteur sein Stammblatt ab? Wie lebt es sich als Sohn eines bekennenden George-Jüngers in einem Haushalt, in dem regelmäßig namhafte Anhänger des Dichters vorstellig werden? Und wie geht es eigentlich dem bisher ältesten anbruch-Autor?

Der wohl einzige Mann, an den man gleich alle vier dieser Fragen mit berechtigter Hoffnung auf Antwort richten kann, wendete glücklicherweise Zeit und Opferbereitschaft auf: Für das Gespräch mit uns verließ Konrad Adam kurzerhand seine Ehefrau – allerdings nur für wenige Stunden, bis auch sie von der Pfingstwanderung zurückkehrte. Ein Rundumschlag über das Verhältnis von Tat und Wort, von Heiden- und Christentum, von Ökologie und Konservatismus.

Von Tano Gerke und Jonas Maron

Lieber Herr Adam, möchten Sie uns zum Einstieg ein George-Gedicht nennen, das Ihnen auf Ihrem bisherigen Lesensweg den größten Eindruck hinterlassen hat?

Eines der schönsten Gedichte, das ich nicht nur von George, sondern überhaupt in deutscher Sprache kenne, ist das ‚Seelied‘: „Wenn an der kimm in sachtem fall / Eintaucht der feurig rote ball…“ Sie kennen das, ich muss es nicht weiter zitieren. Ein vollkommenes Gedicht – in jeder Beziehung: Ein einziger Gedanke, anschaulich gemacht im Bild, vorgetragen in einer schlackenreinen Sprache – wunderbar.

Was hat mein ganzer tag gefrommt…

…Wenn heut das blonde kind nicht kommt.“ Da kann dann jeder überlegen, für was das blonde Kind wohl stehen mag. Ein anderes Gedicht, schon auf der Kippe zum Sinnspruch stehend, hebt an: „Horch was die dumpfe erde spricht: / Du frei wie vogel oder fisch – / Worin du hängst · das weisst du nicht.“ Mir geht es häufig durch den Kopf, wenn ich mit Umweltschützern zu tun habe, die sich für innovativ halten.

…ein recht spätes Werk – aus dem ‚Neuen Reich‘ von 1928.

Gerade die späten Gedichte, in denen mitunter ein volkstümlicher Ton angeschlagen wird, gefallen mir besser als die frühen, die mir – um mit Thomas Mann zu sprechen – allesamt etwas steil vorkommen. „Es fuhr ein knecht hinaus zum wald“ ist ein weiteres dieser späten Werke, deren liedhafter Ton mir zusagt.

Der vater starb die mutter starb“, heißt es dort über den Knecht im Wunderwald, „Ein andrer kannt ihn nicht.“ Könnte fast von Eichendorff sein.

Wobei Eichendorff dann doch noch etwas weicher, gefühlvoller, romantischer klingt. George meißelt eher.

Was für einen Dichter ja ein Kompliment ist.

Sicherlich.

Sie sind insofern kein typischer George-Leser, als sie im Haushalt eines bekennenden Georgeaners – Friedrich Adam – aufgewachsen sind, der gerade nach dem Krieg zu einem der wichtigsten Kontaktpfleger innerhalb der zerstreuten Gruppe wurde. Ist Ihnen erinnerlich, wann Sie zuerst mit Georges Namen in Berührung kamen, oder stand dieser Name für Sie immer schon im Raum?

Er war immer schon da. Ich erinnere mich an die Leseabende, wie sie in bürgerlichen Kreisen damals üblich waren. Aus dem Nebenraum hörte ich an solchen Abenden die sonore Stimme meines Vaters, der im Georgeschen Sprechstil Gedichte vorlas. Als halbes Kind habe ich ihn gefragt, warum er zu diesen Anlässen so komisch spräche, mit uns spreche er doch auch nicht so. Er deutete nur an, dass ich für ein Verständnis doch wohl noch zu jung sei. Diese leider nicht ganz untypische Reaktion hat mein Verhältnis sowohl zum Vater als auch zum Kreis schon früh getrübt. Die unbarmherzige Attitüde, die von den Kreismitgliedern anderen, auch der Familie gegenüber gepflegt wurde, hat mir noch nie gefallen. Auch später musste ich mir wiederholt anhören, dass ich für Poesie wenig Sinn und Verstand besäße – was nicht ganz falsch, glücklicherweise aber auch nicht ganz richtig war.

Kann sich sehen lassen: Als Gastgeschenk erhielt die anbruch-Redaktion eine meisterliche Erstausgabe.

Zur vielleicht unbarmherzigen, jedenfalls aber abweisenden Grundhaltung, die der George-Kreis nach außen hin zur Schau trug, wäre wohl das Stichwort von der engen Verwandtschaft zwischen Ästhetizismus und Barbarei anzuführen. „Das verletzlichste Herz“, so heißt es in Rolf Schillings Notizband ‚Aus Arieltagen‘, „bedarf der schärfsten Waffen, um sich gegen den Zugriff der Welt zu schützen.“ Brauchte George die ungewöhnlich robuste Panzerung, weil er nach innen ebenso ungewöhnlich verwundbar war?

Das war er ganz offenkundig. Mit Ansprüchen, wie er sie vortrug, geht man nicht durchs Leben, ohne verletzlich zu sein. Aber wie er dann mit seinen abtrünnigen Freunden umgeht – den verstoßenen Gundolf hat er nicht einmal mehr gegrüßt – so etwas zeugt von einer Herzlosigkeit, mit der ich nichts zu tun haben möchte.

Zumindest zeugt es nicht von bürgerlichen Umgangsformen. Würden Sie uns zustimmen darin, dass Sie eher oder überzeugter Bürger sind als George es je war?

Ja, Sie dürfen mich sogar Bildungsbürger nennen. Weder gegen das eine noch gegen das andere Attribut werde ich Protest einlegen.

Dann sind sie hiermit als solcher anerkannt. Wenn Sie die späteren Gedichte hervorheben, dann ist auch das Politische, sind Ökologie und Zivilisationskritik nicht weit. Lesen Sie manche dieser späten Werke politisch oder halten Sie diesen Zugang für verfehlt?

Wie wollen Sie denn beispielsweise das Kriegsgedicht von 1917 anders als politisch lesen? Dort wird doch auf zeitgenössische Ereignisse und Figuren wie Hindenburg unzweifelhaft Bezug genommen. Was die Ökologie anbetrifft, so dürfte deren drängendste Fragen wohl niemand besser und nur wenige früher angesprochen haben als George in seinem Dialoggedicht ‚Der Mensch und der Drud.‘

In diesem Gedicht richtet der Drud, ein urwüchsiges Wesen aus vorzeitlicher Rätselferne, zuletzt die Worte an den modernen Menschen: „Wär nur dein geist am werk gewesen: längst / Wär euer schlag zerstört und all sein tun / Wär euer holz verdorrt und saatfeld brach… / Nur durch den zauber bleibt das leben wach.“ Hinter der Maske des Druden ist meist George selbst vermutet worden, hinter der des konkurrierenden Menschen mitunter Max Weber. Wenn Sie die Haltung des Druden und jene des Menschen auf heutige politische Akteure übertragen müssten, welche würden Sie wählen?

Da Sie mich drängen: Mir würden Namen einfallen wie Hans Jonas oder Robert Spaemann, aber auch Herbert Gruhl. Sie alle haben die Notwendigkeit, Rücksicht auf die gebeutelte Natur zu nehmen, vergleichsweise früh und deutlich ausgesprochen.

Das wären also Ihre Besetzungsvorschläge für die Rolle des Druden?

Wenn Sie so wollen, ja. Allerdings kannte ich alle drei – Jonas und Spaemann sogar recht gut, sodass ich ihnen versichern kann, dass dort mit Ziegenfüßen und Eselsohren nichts gewesen ist.

Und der moderne Mensch, der dem Druden mit seiner Ausrottung droht? Würden Sie widersprechen, wenn man diese Figur mit jenem marktgläubigen AfD-Flügel um Lucke und Henkel in Verbindung brächte, den nicht zuletzt Sie mit einer vielzitierten Rede auf dem Essener Parteitag 2015 in die Schranken gewiesen haben?

Lucke und Henkel standen mir in ihrer Gläubigkeit an die Gesetze des Marktes gewiss nicht nahe, doch war mit ihnen, gerade auch mit Lucke, immer zu reden. Mit denen, die heute das Umwelt-Thema für sich und die Partei gekapert haben, können Sie das nicht: Da sind knallharte, nicht selten ferngesteuerte Interessenvertreter am Werk, ein Menschenschlag, der sich ja ohnehin stetig ausbreitet und die repräsentative Demokratie in einem trüben Licht erscheinen lässt.

Innerhalb der Partei waren Sie es seinerzeit, der vielleicht allein auf weiter Flur, zumindest jedoch vernehmlicher als andere die Haltung eines Kulturkonservatismus verfocht. Dieser Zugang böte eine klare Abgrenzung an zu den heute virulenteren Konzepten sowohl des National- als auch des Ethnokonservatismus. Können Sie die unverhandelbaren Eckpfeiler der europäischen Kultur benennen, die es zu bewahren gilt?

Der Kulturbruch ist unbestreitbar: Zu Beginn des Jahrhunderts signierte Friedrich Adam, Konrads Vater, noch auf Altgriechisch.

Man würde dem Begriff der Kultur nicht gerecht, wollte man versuchen, ihren Inhalt auf ein paar Stichworte zu beschränken. Mit Eckpfeilern kann ich also nicht dienen, mit Schwibbögen aber schon. Anders als viele, die sich selbst weit rechts einordnen, bin ich der Meinung, dass die Ökologie ein Gebiet ist, das in konservative Hände gehört. Persönlich bin ich davon überzeugt, dass es die Eigentümlichkeiten der spezifisch deutschen Geschichte waren – zu denen auch die persönliche Aversion Helmut Kohls gegen die Grünen gehört -, die dieses Thema auf die linke, also falsche Seite des politischen Spektrums verschoben haben.

Sollte man George, der mindestens sieben europäische Sprachen beherrschte, heute ausschließlich als Dichter würdigen oder darf man ihn auch als Europäer begreifen?

Was für eine Frage! Schon seine Nähe zu den Symbolisten der Pariser Szene gibt die Antwort. George hat Baudelaire übersetzt, Dante und Shakespeare – übersetzt oder nachgedichtet, wie Sie wollen. Wie man dergleichen tun kann, ohne sich der europäischen Kultur zutiefst verbunden zu fühlen, muss man mir noch erklären.

Zum Stichwort des Kulturkonservatismus ließe sich noch nachtragen, dass Sie in Gesprächen mehrfach deutlich gemacht haben, das christliche Gepräge des Abendlandes nur ungern preisgeben zu wollen. Wie verträgt sich diese Haltung eigentlich mit einem Dichter wie George, der trotz seines ästhetischen Katholizismus die wenig schmeichelhaften und auf den Untergang der hellenischen Welt anspielenden Verse über Christus dichtete: „Weh! Auf des syrers gebot / Stürzte die lichtwelt in nacht.“ Welches Europa ist das wahre, das heidnisch-antike oder das christlich-humanistische?

Wie unterscheidet sich dieses Zitat denn inhaltlich von Friedrich Schiller: „Alle jene Blüten sind gefallen / Von des Nordes schauerlichem Wehn, / Einen zu bereichern unter allen, / Mußte diese Götterwelt vergehn.“ Der gleiche Gedanke, bloß etwas freundlicher formuliert. Bei Schiller schwingt eine Trauer mit, von der bei George wenig zu spüren ist. Wenn Sie nun aber nach der Verträglichkeit zwischen antiker Lichtwelt und christlicher Dämmerung fragen, so gibt George doch selbst einen Hinweis, indem er sagt: „Apollo lehnt geheim / An Baldur.“ Ich habe mich in jüngeren Jahren halbprofessionell mit lateinischer und altgriechischer Literatur befasst und dabei einiges über die Verträglichkeit verschiedener Kulturen gelernt. Dass das Christentum hier und da andere Akzente setzt als antike Weltauffassungen, halte ich also für legitim: Ich erwähnte ja eingangs die mangelnde Demut, die aus manchen Anekdoten rund um den George-Kreis spricht. Sie stört mich insbesondere bei Friedrich Wolters.

„O wüsstet ihr wie ich euch alle ein wenig verachte!“ Stauffenberg in der Uniform der Wehrmacht. (ARD-Screenshot)

Wenn Sie aus dem Umfeld Georges anstelle von Wolters einen Menschen herausgreifen müssten, der auch politisch zum Vorbild taugt, welcher Name würde Ihnen einfallen?

Derselbe, der auch Ihnen einfällt.

Robert Boehringer, der Erbe Georges und pazifistisch gesinnte Wahl-Schweizer?

Boehringer war ein untadeliger Mann. Zuvörderst denke ich jedoch an Stauffenberg.

Angesichts der jüngsten Forschungsbeiträge scheint sich im Unterschied zu Boehringer bei Stauffenberg die Frage aufzudrängen, ab wann er denn ein Vorbild war.

Muss ich mich dazu mit einem intellektuellen Callboy wie Karlauf auseinandersetzen? Als Literaturagent will er einen Bestseller produzieren, und dazu braucht er eine steile These.

Wäre Stauffenbergs Tat ohne George tatsächlich undenkbar gewesen?

Dafür spricht einiges. Sie kennen ja sicherlich den ‚Widerchristen‘ aus dem ‚Siebenten Ring‘, ein Gedicht, das Stauffenberg glaubhaften Zeugnisse zufolge in den Tagen vor dem Attentat laut zu deklamieren pflegte. Wenn es denn wirklich einer Rechtfertigung Georges und seines Kreises bedürfte, wäre Stauffenbergs Tat bereits vollkommen ausreichend.

Ist die Verheißung des ‚Geheimen Deutschland‘ mit Stauffenberg erfüllt und erschöpft oder könnte man sich auch heute noch in politischen, zumindest in metapolitischen Belangen auf diese Formel beziehen?

Das ist vorbei, leider. Im Zeitalter der Transparenz, wo jeder über alles reden kann, am liebsten über das, wovon er nichts versteht, hat das Geheimnis keinen Platz mehr, schon gar nicht ein ‚Geheimes Deutschland‘.

Sie halten den Georgeschen Geist für ausgetrieben?

Es hat, wie Sie wissen, bedingt durch Schirrmacher und Raulff eine gewisse Renaissance gegeben, die allerdings wie alle Erscheinungen dieser Art von begrenzter Dauer war. Unabhängig von allen historischen oder politischen Erwägungen wird George als derjenige weiterleben, der der vergeibelten deutschen Literatursprache neue Möglichkeiten erschlossen hat – so lange es eine deutsche Sprache denn noch gibt. Nach Angela Merkel ist ja auch das nicht mehr sicher.

Über zwei Jahrzehnte waren Sie als Redakteur bei der FAZ. Im Mai 2018 ist George dort zu zweifelhaften Ehren gekommen, als Julia Encke die ebenso abgegriffenen wie unbewiesenen Anschuldigungen des sexuellen Missbrauchs noch einmal mühsam aufzuwärmen versuchte. Mit welchen Gefühlen betrachten Sie heute Ihre einstige publizistische Heimat?

Ich habe die FAZ abbestellt.

Welche Zeitung lesen Sie heute?

Mit Vorliebe die NZZ. Auch über deutsche Themen berichtet sie ausführlicher, vor allem aber sachlicher und verlässlicher als jede deutsche Tageszeitung. Auch über die AfD übrigens, der sie mit deutlicher Kritik, aber niemals so verbissen und geradezu obsessiv begegnet wie die deutschen Medien. Ich würde allerdings gerne noch einmal auf das ökologische Thema zurückkommen, das ich für eine der beiden großen Zukunftsfragen halte. Die zweite wäre daneben jene der Bevölkerungsverschiebung und alles, was in kulturellen Belangen mit ihr in Verbindung steht. Ich bin unverändert der Ansicht, dass die AfD sich ein dauerndes Verdienst erworben hat, indem sie das Problem der demographischen und kulturellen Verschiebung überhaupt erst zu einem öffentlichen Diskursgegenstand gemacht hat. Für umso bedauerlicher halte ich es allerdings, dass sie beim anderen großen Thema – der Ökologie – drauf und dran ist, zu versagen.

Was halten Sie in Zukunft für wahrscheinlicher: Das Einlenken der Grünen in migrationspolitischen Fragen oder eine Sensibilisierung der AfD für die ökologischen?

Schwer zu sagen. Freuen würde mich beides.

Über Ludwig Klages schrieb Michael Klonovsky jüngst, seine Schriften seien eine eindrucksvolle Flaschenpost aus Zeiten, da Grüne zwar nicht links, dafür jedoch der deutschen Sprache noch mächtig gewesen seien. Könnte man das auch über Sie sagen: Ein Grüner, der nicht links ist und schreiben kann?

Soll ich mir jetzt selbst Schreibfähigkeit attestieren?

Wir würden das im Zweifel übernehmen.

Dass ich für grüne Ideen zu haben bin, ist hinreichend bekannt; dass ich die AfD mitbegründet habe, wahrscheinlich auch; dass ich mit der Partei in manchen Fragen über Kreuz liege, hoffentlich ebenfalls. Ich träume von einer Ehe, meinetwegen auch einer wilden, zwischen den Realisten beider Seiten. Aber wie die meisten Träume wird wohl auch dieser so bald nicht in Erfüllung gehen.

Lieber Herr Adam, wir danken Ihnen für das Gespräch.

*

Es handelt es sich bei diesem Text um einen Ausschnitt unseres knapp zweistündigen Wortwechsels mit Konrad Adam. Das vollständige Gespräch finden Sie in der ersten Druckausgabe unseres Magazins.

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