Fun ist ein Stahlbad – Methode und Wirkung der Kulturindustrie

In ihrem epochalen Werk Dialektik der Aufklärung liefern Theodor W. Adorno und Max Horkheimer eine grundlegende Theorie zum Verständnis industrieller Gesellschaften. Besonders der Begriff der Kulturindustrie sticht hervor und seziert ein System, in dem Kultur als Ganzes zur Ware wird.

Größere Bekanntheit erlangte diese Theorie im Rahmen der Studentenproteste in den 1960er Jahren, die die Vertreter der Frankfurter Schule zu ihren Säulenheiligen erklärte. Adorno distanzierte sich jedoch recht rasch von den neuen Protestformen, sich durch Kleidung oder Musik von dem Vorherrschenden abzugrenzen. Diese Protestformen hatten selbst, so Adorno, den Warencharakter angenommen und waren fundamental an die kapitalistischen Produktionsverhältnisse gebunden – sie konnten keine nachhaltige Alternative zum System aufzeigen. In der historischen Nachbetrachtung lag Adorno mit dieser Einschätzung nicht ganz falsch. Doch gerade konservative Kreise, in denen diese Denktraditionen, die in der Frankfurter Schule zusammenfanden, zumeist plump und naiv als „kulturmarxistisch“ degradiert werden, könnten von diesen Ideen profitieren, denn: Die Theorie der Kulturindustrie ist ein Schlüssel zum Verständnis postmoderner Gesellschaften und eine Pflichtlektüre für jeden, der im Menschen mehr sieht als beliebig formbares Material.

„Jede Aussage, jede Nachricht, jeder Gedanke ist präformiert durch die Zentren der Kulturindustrie.“

Das System der Kulturindustrie ist, anders als es der Begriff Industrie vermuten lässt, nichts Technisches. Bezeichnen soll es zunächst eine Struktur, die zu einer Standardisierung der Gesellschaft führt. Es handelt sich um ein System klarer Vorstellungen und Organisation. In dieser Industrie, der Industrie der Kultur, wird das menschliche Verhalten und Denken an die industrialisierten Produktionsformen angepasst. Dadurch wird ein mechanisches Bewusstsein des Menschen formiert, das im Kern an die Vorgaben ebenjener Strukturen gebunden ist. Das System der Kulturindustrie überzieht dadurch alle gesellschaftlichen Teilbereiche mit einem Warencharakter. Das heißt, alle Kommunikationsformen innerhalb des gesellschaftlichen Lebens sind darauf ausgelegt, die vorherrschende Doktrin, den wirtschaftsorientierten Liberalismus, zu reproduzieren. Ebenso macht diese Methode die Möglichkeit des Widerstandes undenkbar, denn selbst der Widerstand wird vorgezeichnet und somit zum Teil des Systems: Widerstand wird zu einer Möglichkeit des Konsums.

Die Kulturindustrie fußt auf einer von Aufklärung und Technisierung hervorgebrachten Moderne. Sie ist eine Folge der Dialektik der Aufklärung und repräsentiert den Doppelcharakter des Fortschritts. Anstatt sein „Potential der Freiheit“ zu nutzen, entwickelte sich eine „Wirklichkeit der Unterdrückung“, so Adorno. Die Kulturindustrie erscheint also nicht eigenständig, sondern fügt Altgewohntes zu einer neuen Qualität zusammen und stellt somit eine neue Dimension der postindustriellen Gesellschaft dar, die auf den Ideengeschichte des wirtschaftlich orientierten Liberalismus fußt. Dabei gibt dieser Prozess sich den Anschein als unabänderliche Voraussetzung und versucht dadurch die Materialisierung des Menschen als natürlich und notwendig zu legitimieren. Doch die Welt und alles in ihr wird zum Gegenstand, die Menschen, die Sprache, die Bedürfnisse, die Kommunikation. All diese Aspekte nehmen den Charakter der Ware an und werden präformiert, um das System der Industrie zu reproduzieren. Dabei werden die Individuen in ein sekundäres Verhältnis gerückt bzw. zu etwas Einkalkuliertem herabgewürdigt. Mit Heidegger könnte man sagen, das Subjekt wird objektiviert, da seine Identität von außen oktroyiert wird.

In diesem System der Reproduktion bedingen sich sämtliche Elemente gegenseitig, die Kultur entwickelt einen unentrinnbaren Zwang. Reproduktion ist ein Schlüsselbegriff zum Verständnis dieser Methode, die alles in sich aufsaugt, denn die „Gewalt der Kulturindustrie liegt in ihrer Einheit mit dem erzeugten Bedürfnis.“ Vor allem der Geist der totalen Vergesellschaftung bestimmt das Zusammenleben und die Beziehung der Menschen untereinander. Die Kulturindustrie zeichnet jede Reaktion vor, es figurieren die immergleichen Assoziationsketten. Hierdurch wird der Mensch selbst zum System, er ist Träger und System zugleich. Charakteristisch hierfür ist das Bewusstsein, wie sich ein junges Mädchen ein erstes Date vorstellt, „der Tonfall am Telefon“, „die Wahl der Worte im Gespräch“, das ganze Verhalten das sie an den Tag legt und als Maßstab an dem Gegenüber, „bezeugt den Versuch, sich selbst zum Apparat zu machen.“ Dieses Bewusstsein wird durch das Verfahren des Amüsierbetriebes subkutan vermittelt. Nicht zur Bedürfnisbefriedigung besteht dieses System, denn die soziale Frage wurde in den westlichen Staaten größtenteils gelöst, sondern zur Erregung von neuem Begehren (Slavoj Zizek verwendet dafür den Begriff der „explodierten Utopie“). Das Amusement bietet keinen Austritt aus dem Alltag an, sondern verklärt den selben Alltag als Paradies.

„Fun ist ein Stahlbad. Die Vergnügungsindustrie verordnet es unablässig. Lachen in ihr wird zum Instrument des betrugs am Glück.“

So geben Adorno und Horkheimer diesem Prozess einen dramatischen Beiklang. Denn vergnügt sein heißt einverstanden sein. Somit bietet das Amusement keine Flucht vor der Realität, sondern dem Gedanken an Widerstand, es ist die „Beifreiung von Denken als von Negation“. In diesem sich immer weiter gegenseitig bedingenden Prozess wird die Kultur des Konsums zu einem Instrument der sozialen Kontrolle. Bekanntlich fordert dieses System durch die Standardisierung ihrer Produktionsweise eine rückhaltlose Identität mit dem Allgemeinen ein. Dies ist die totale Vergesellschaftung – alle sind frei sich zu vergnügen, doch die Freiheit beschränkt sich auf die „Wahl des immergleichen“.

Da die Kulturindustrie ein nicht personifiziertes System bezeichnet, ist es nicht möglich, die Sprengung eben jenes Systems durch Gewalt oder einen politischen Machwechsel zu vollziehen. Adorno und Horkheimer wenden zur Beantwortung dieser Frage ein typisch linkes Denkmuster an, nach dem sich die Theorie nicht der Praxis zu unterwerfen hat und somit stets die Frage nach dem Denkbaren im Mittelpunkt steht. Folglich lässt sich dieses System bereits durch die denkbare Möglichkeit einer anderen Gesellschaft angreifen. In diesem Bewusstsein wird das Wunschdenken von der Utopie ausgehend offenkundig, das Adorno und Horkheimer letztlich auch zu den Marxisten macht, die sie sind. Wir hingegen müssen betonen, dass dieses Denken ebenso wie das System der Kulturindustrie auf der Grundlage eines mechanisch-materialistischen Menschenbildes beruht. Adorno stellt sich die Gesellschaft vor wie er will, nälich willkürlich, ungeachtet kultureller und historischer Begrenzungen. Überall erblickt er Elemente der Kulturindustrie oder zumindest Aspekte, die ihr Hervorkommen bedingt haben. Einen positiven Bezug zum Eigenen aufzubauen ist ihm schier unmöglich.

Wir hingegen müssen uns die Aufgabe stellen, gegen beide Ansätze zu opponieren. Der Mensch muss für uns ein hermeneutisches Wesen sein, das das Tradierte niemals vollends überwinden kann. Es gilt ein Bewusstsein zu befördern, in dem Kultur mehr ist als Unterdrückung und Kontrolle, nämlich eine Verbindung mit unserer Umwelt und der Geschichte, der wir entstammen.

 

Literatur:

Max Horkheimer/Theodor W. Adorno, Dialektik der Aufklärung, Frankfurt am Main 2012.

Theodor W. Adorno, Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben, Frankfurt am Main 2014.

Theodor W. Adorno, Résumé über Kulturindustrie.

Anmerkung zu den makierten Zitaten, chronologisch. 1. Adorno, Minima Moralia, S. 122; Adorno/Horkheimer, Dialektik, S.149.

Titelbild: Wikimedia Commons, Frank Behnsen, Attribution ShareAlike Unported CC BY-SA 3.0

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