„Eine Katastrophe der Stummheit“ – Hermann Broch

Der österreichische Schriftsteller Hermann Broch (1886-1951), unter anderem Autor der Romantrilogie  „Die Schlafwandler“:

„Der werkende Mensch von heute ist in einem viel tieferen Sinne stumm als etwa ein Trappist. Seine Sprache ist eigentlich nur mehr Verständigung,…, immer nur Signal, immer nur Geschäftsbrief. Er spricht von den Dingen, soweit es unerlässlich nötig ist, aber er spricht nicht mehr über die Dinge. Und wenn er nicht an seinem Arbeitsplatz steht, so treibt er Sport und gerät in ein unmittelbares und stummes Verhältnis zur Natur. Oder er geht ins Kino. Oder er hört Radiomusik. Niemals war die Welt mit soviel Bild- und Musikwirkung erfüllt wie heute… Kurz zusammengefasst: der Mensch von heute ist ein visueller, ist ein auditiver Mensch, aber er ist radikal anti-intellektualisiert.“

„Aber die Ausschaltung des Irrationalen aus der rationalen Wissenschaftlichkeit hat das Irrationale nicht erschlagen. Es ist da. Und es meldet sich unausgesetzt. Vielleicht vehementer denn je. Was frühere Epochen der unseren voraus hatten, war das strenge rationale Wertsystem. Denn vergessen Sie nicht: jede Religion ist rational und nichts verdammt der Religiöse so tief als das Dumpf-Mystische. Was wir erleben, ist der Zusammenbruch der großen rationalen Wertsysteme. Und wahrscheinlich ist die Katastrophe des Menschlichen, die wir erlebten, nichts anderes als dieser Zusammenbruch. Eine Katastrophe der Stummheit. Wir haben, kraß gesprochen, keine Philosophie, und wir haben noch viel weniger eine Theologie. Die rationalen Mittel zu deren Wiederaufrichtung sind nicht vorhanden oder noch nicht vorhanden.“

Literatur:

Beiheft Hörspiel „Die Schlafwandler“ von 2010, Hörverlag, S. 13f. (Aus einem Vortrag am 6.2.1931.)

 

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