Grundlagen der Technikphilosophie: Oswald Spengler

Rund zehn Jahre nach dem Erscheinen seines Hauptwerkes verfasst Oswald Spengler eine kleine Schrift, in der er das Thema Technik etwas ausführlicher behandelt als im „Untergang des Abendlandes“, ohne dessen eiserne Logik zu durchbrechen.

Der Text wirkt, als habe er an einem Abend nach getaner Arbeit einmal kurz seine Philosophie aus dem Stegreif abdiktiert und das Ergebnis nicht mehr überarbeitet. Es ist vollkommen disparat, und der Leser muss sich seine innere Logik selbst erarbeiten. Dann kann er einige interessante Gedanken zur Technikphilosophie herausfiltern. Ich systematisiere und referiere im Folgenden Spenglers Gedanken und verzichte auf die konjunktivische Darstellung der indirekten Rede.

1.

Spengler hat einen viel weiteren Technik- Begriff als Coudenhove-Kalergi: „Technik ist die Taktik des ganzen Lebens. Sie ist die innere Form des Verfahrens im Kampf, der mit dem Leben selbst gleichbedeutend ist.“ Sie ist weder von der Maschine noch vom Werkzeug aus zu verstehen. Nur von der Seele her lässt sich die Bedeutung der Technik erschließen. Jede Tätigkeit, die ein Ziel hat, bedient sich bestimmter Verfahren, d.h. bestimmter Techniken. Diese Prozesse setzen bereits in der Tierwelt ein, auch wenn sie hier im Wesentlichen unverändert bleiben, der menschliche ewige Kampf dient hingegen zu einem Gutteil der Verbesserung seiner Techniken.

„Die Technik im Leben des Menschen ist bewusst, willkürlich, veränderlich, persönlich, erfinderisch. Sie wird erlernt und verbessert.“

2.

Erst im 19. Jahrhundert kommt es laut Spengler zur theoretischen Beschäftigung mit Technik. Die seit Napoleon wachsenden Riesenstädte, Fabriken, Eisenbahnen und Dampfmaschinen zwangen dazu, sie als Teil der Kultur zu sehen. Bis dahin galt Kultur als die Gesamtheit der Bücher und Bilder, die von Wissenschaftlern und Künstlern produziert wurden. Die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einsetzende Beschäftigung mit Wirtschaft und Technik ging von England aus und stand im Zeichen des Materialismus. Es ging nun nicht mehr um die „Seele“, sondern um die Nützlichkeit und das „Glück der Meisten“. Deren Verwirklichung sah man darin, dem einzelnen einen möglichst großen Teil der Arbeit abzunehmen und sie Maschinen zu übertragen. Die Fortschrittsphilister schwärmten von Amüsement, Behagen und Kunstgenuss. Fortschritt machten sie lediglich an arbeitssparender und amüsierender Technik fest.

3.

Wirtschaft, Krieg und Technik sind für Spengler verschiedene „Seiten des einen, tätigen, kämpfenden, durchseelten Lebens“ „Kampf ist das Leben, und zwar im Sinne Nietzsches als ein Kampf aus dem Willen zur Macht, grausam, unerbittlich, ein Kampf ohne Gnade.“ Der Mensch ist ein Raubtier. Der Kampf gegen die äußere Natur wird nicht mehr als Elend empfunden, sondern als großer Sinn des Lebens, der es adelt. „Fortschritt“ und Schöpfertum sieht Spengler allerdings nur von den faustischen Männern des Nordens getragen, also von den Mittel- und Nordeuropäern. Amerika wird nicht erwähnt-

4.

Seit dem Einsatz von Maschinen ist der Mensch der Schöpfer seiner Lebenstaktik geworden. Der Natur wird ihr Vorrecht des Schöpfertums entrissen. Der schöpferische Mensch ist aus dem Verbund mit der Natur herausgetreten, und mit jedem neuen kreativen Akt entfernt er sich weiter und feindseliger von ihr. „Das ist seine Weltgeschichte, die Geschichte einer unaufhaltsam fortschreitenden Entzweiung zwischen Menschenwelt und Weltall, die Geschichte eines Empörers, die dem Schosse seiner Mutter entwachsen die Hand über sie erhebt.“

Doch die Natur ist in Spenglers Augen stärker, und der Mensch bleibt ihr Geschöpf. Die Tragödie des Menschen besteht darin, dass sein Kampf gegen die Natur hoffnungslos ist und trotzdem bis zum Ende geführt werden wird.

5.

Spengler ist bereits 1932 von der Eigendynamik der Technik überzeugt. „Ob es einen Sinn hat oder nicht, das technische Denken will Verwirklichung. Der Luxus der Maschine ist die Folge eines Denkzwanges. Die Maschine ist letzten Endes ein Symbol, wie ihr geheimes Ideal, das perpetuum mobile, eine seelisch-geistige, aber keine vitale Notwendigkeit.“ Und wie einst der Mensch sich gegen die Natur empörte, wenden sich jetzt die Kreationen dieses neuen, nordischen Menschen gegen diesen selbst:

„Der Herr der Welt wird zum Sklaven der Maschine. Sie zwingt ihn, uns, und zwar alle ohne Ausnahme, ob wir es wissen und wollen oder nicht, in die Richtung ihrer Bahn. Der gestürzte Sieger wird von dem rasenden Gespann zu Tode geschleift.“

6.

Der Autor sieht auch schon ganz klar den Verlust der Kontrolle des Menschen über die Technik voraus: „Aber das gehört zur Tragik dieser Zeit, dass das entfesselte menschliche Denken seine eigenen Folgen nicht mehr zu erfassen vermag. Die Technik ist esoterisch geworden … Die Mechanisierung der Welt ist in ein Stadium gefährlichster Überspannung eingetreten.“

Auch weitere Folgen der eigendynamischen Technikentwicklung hat Spengler im Blick: die Verschärfung utilitaristischen Denkens und den Verlust der Freiheit. Das Berechnen der größeren Wirkung der Technik über die Grenzen der Körperkraft hinaus ist der erste Schritt zur teilweisen Aufgabe der persönlichen Freiheit. Innerlich bleibt man ja angeblich unabhängig, verwickelt sich aber allmählich immer tiefer in verhängnisvolle Bindungen. Auch das unternehmerische Denken greift immer stärker in das Seelenleben ein. Der Mensch ist Sklave seines Gedankens geworden. (S. 25) Das „Urseelentum“ des faustischen Menschen wird durch das  – heute sagen wir – zweckrationale, auf Nützlichkeit ausgerichtete Denken ausgehöhlt.

„Alles Organische erliegt der um sich greifenden Organisation. Eine künstliche Welt ersetzt und vergiftet die natürliche. Die Zivilisation ist selbst eine Maschine geworden, die alles maschinenmäßig tut oder tun will“.

7.

Besonders aktuell sind Spenglers Überlegungen zum immanenten Ziel der Technikentwicklung, der angeblichen Arbeitseinsparung: „Es ist nicht wahr, dass menschliche Technik Arbeit erspart. Es gehört zum Wesen der … Menschentechnik im Gegensatz zur Gattungstechnik der Tiere, dass jede Erfindung die Möglichkeit und Notwendigkeit neuer Erfindungen enthält, dass jeder Wunsch tausend andere weckt, jeder Triumph über die Natur zu noch größeren reizt. Die Seele dieses Raubtiers ist unersättlich, sein Wollen nie zu befriedigen … Ruhe, Glück, Genuss sind gerade den höchsten Exemplaren unbekannt … Je fruchtbarer die Führerarbeit ist, desto grösser wird der Bedarf an ausführenden Händen.“ Der technische Luxus steigert jede Art von Luxus, und das künstliche Leben wir immer künstlicher.

8.

Die Deutung der gesamten Menschheitsentwicklung bis zur Konstruktion der Maschine, mit welcher der heutige Krieg gegen die Natur geführt wird, als „Fortschritt“ wird von Spengler vehement angezweifelt: Die Menschheit marschiere tapfer immer weiter. „Aber wohin? Wie lange? Und was dann?“ Spengler meint, die Menschen stürzen sich in einen rosaroten Fortschrittsoptimismus, weil sie sich auf diese Weise mit der Vergänglichkeit, dem ewigen Entstehen und Vergehen, der eigenen Sterblichkeit versöhnen wollen. Die Schicksalsgläubigkeit, die mit religiösem Glauben verbunden war, hat durch das Verdämmern der christlichen und Naturreligionen ihre Wirksamkeit eingebüßt und muß nun ersetzt werden. Der Glaube an die Technik ist mittlerweile fast zur materialistischen Religion geworden. Ihre Anbeter sind die Fortschrittsphilister der Neuzeit, von Lamettrie bis Lenin, Spengler dagegen hält an seiner Kulturkreislehre und dem damit einhergehenden Zyklus von Aufstieg, Höhepunkt und Verfall jedweder Kultur fest. Ein Symptom dafür, dass sich die faustische Kultur derzeit im Niedergang befindet, ist neben dem Zauberlehrlingseffekt auch unser Blick auf die Geschichte, unsere Fähigkeit, Geschichte zu schreiben. Nur auf ihrem Höhepunkt tritt die Gabe durchdringender Erkenntnis auf.

9.

Wie Coudenhove-Kalergi sieht auch Spengler die Übervölkerung der Erde als Teil der Tragödie der Menschheit an: Neben der Kultur, diesem Inbegriff künstlicher, selbstgeschaffener Lebensformen („die steinerne Stadt als das Gehäuse des ganz künstlichen, von der mütterlichen Erde getrennten, vollkommen gegennatürlich gewordenen Lebens, die Stadt des wurzellosen Denkens, welche die Ströme des Lebens vom Lande an sich zieht und verbraucht.“) gehört auch die Vervielfachung der Bevölkerungen zu den folgeschweren Wirkungen menschlichen Unternehmergeistes, die dem faustischen nordischen, freien Raubtier das Gefühl der Gefangenschaft vermitteln. Dessen letztes Aufbäumen gegen geistige Einebnung und Vermassung stellt der Individualismus dar. „Man will der Wirkung der saugenden Zahl entgehen, indem man sich über sie stellt, sie flieht, sie verachtet. Die Idee der Persönlichkeit, dunkel beginnend, ist ein Protest gegen den Menschen der Masse. Die Spannung der beiden wächst bis zum tragischen Ende.“

Spengler meint aber auch, bereits Tendenzen gegen das auf Dauer gesehen selbstzerstörerische Handeln der im Wesentlichen europäischen Menschen zu sehen: In allen Ländern großer und alter Industrie ist eine Ermüdungstendenz festzustellen. Das faustische Denken scheint eine Art Pazifismus im Kampf gegen die Natur vorzubereiten. Man wendet sich einfacheren, naturnäheren Lebensformen zu, treibt Sport, hasst Großstädte, wünscht sich aus der klaren, kalten Atmosphäre technischer Organisation heraus. Metaphysische und religiöse Strömungen verbreiten sich wie seit dem Sieg des rationalistischen Denkens nicht mehr: Okkultismus, Spiritismus, indische Philosophie. Zivilisationsflucht, Arbeiterproteste und Selbstmorde greifen um sich. Auf ein Ende der wirtschaftlich-technischen Entwicklung weist auch das sinkende geistige Niveau des Nachwuchses hin. Das stärkste Symptom dafür sieht Spengler allerdings im europäischen Verrat an der Technik am Ende des 19. Jahrhunderts: statt das technische Wissen geheim zu halten, „den größten Schatz, den die „weißen“ Völker besaßen“, wurde es in Wort und Schrift weltweit verbreitet. Es begann ein Export von Verfahren, Methoden, Ingenieuren und Organisatoren. „Die unersetzlichen Vorrechte der weißen Völker sind verschwendet, verschleudert, verraten worden.“ Das ist der letzte Grund der Arbeitslosigkeit in den weißen Ländern, die keine Krise, sondern der Beginn einer Katastrophe ist.

Spenglers Fazit

Die Maschinentechnik hat sich vollendet und geht zusammen mit dem faustischen Menschen zu Ende. Sie wird von innen heraus verzehrt werden wie alle großen Kulturformen. „… es gibt keine weise Umkehr, keinen klugen Verzicht. Nur Träumer glauben an Auswege. Optimismus ist Feigheit … Auf dem verlorenen Posten ausharren ohne Hoffnung, ohne Rettung, ist Pflicht.“

Die unzutreffende Prognose vom Ende des Maschinenzeitalters und Spenglers unheilbarer Nietzscheanismus – geschenkt. Seine Zivilisationskritik und Technikphilosophie treffen aber den Puls auch noch unserer Zeit.

Einen Widerspruch in seiner Logik scheint er aber gar nicht bemerkt zu haben, thematisiert ihn jedenfalls nicht: Seine geliebten faustischen Nordmänner mit ihrer Energie, Klugheit und Kreativität, aber auch ihrem Innovationstrieb waren seiner Auffassung nach die Träger jedweder kultureller und technischer Veränderung. In ihrer Umtriebigkeit und ihrem fehlenden Talent zur Muße („Ruhe, Glück und Genuss sind gerade den höchsten Exemplaren unbekannt.“) – Spengler sieht in diesem Mangel eine Tugend –  schufen die „Raubtiere“ eine Welt, die vollkommen ihren eigenen Intentionen und ihrer Natur entgegensteht und die sie nun zu vernichten anschickt.

Was ist da schiefgelaufen? Wie konnte es soweit kommen? War der Zug Fausts von vornherein auf dem falschen Gleis? Oder hätte er Spenglers Ansicht nach an irgendeiner Stelle auf ein Nebengleis abbiegen müssen und das Menschliche noch mit dem Technischen in Harmonie bringen können? War der rücksichtslose Kampf gegen die Natur mit dem Ziel ihrer Beherrschung vielleicht ein Fehler? Oder war das von Spenglers Raubtier vielleicht nicht so edel, wie der Autor unterstellt, sondern ein maßloser, blindwütiger Getriebener, der (bis heute!) kein Bewusstsein und Gefühl für sich selbst als Gattungswesen hatte und dem gerade die Fähigkeit zu Muße, Ruhe und Genuss fehlte, um sich in ein Gleichgewicht mit der Natur zu bringen?

Spengler weicht diesen naheliegenden Fragen aus, weil er seine Technikphilosophie unbedingt in Einklang bringen will mit seinem Axiom vom Untergang des Abendlandes. Dafür opfert er sogar seinen Helden.

Literatur:

Oswald Spengler: Der Mensch und die Technik. Beitrag zu einer Philosophie des Lebens, Berliner Ausgabe 2016, 4. Auflage. Erstdruck: Beck 1931.

Weitere Beiträge