Fuck Off, АМЕРИКA! – Eduard Limonow

Das New York der siebziger Jahre: Ein Paradies für Geschäftemacher, Lebenskünstler und Freaks aus aller Herren Länder. Es herrscht Kalter Krieg, doch die Wirtschaft boomt, die Partynächte sind lang und auch AIDS ist noch niemandem ein Begriff.

Wer würde dort wohl besser hineinpassen als der ukrainische Dissident und Querfrontler Eduard Limonow, der durch sein autobiographisches Erstlingswerk berühmt wurde und seither in regelmäßigen Abständen für Furore im postsowjetischen Russland sorgt?

Doch kehren wir zurück in die swingin‘ seventies: Da sitzt er nun auf seinem kleinen Balkon des Hotels Winslow in Manhattan, hineingeworfen in den größten melting pot der Kulturen im Zentrum der westlichen Hemisphäre. Weil er wegen seiner oppositionellen Haltung aus seiner Heimat, der Sowjetunion, ausgewiesen wird, begibt er sich mit seiner Geliebten Helena in die USA. Zunächst beflügelt ihn die Hoffnung, eine Karriere als weltbewegender Poet zu beginnen und berühmt zu werden, doch die Ernüchterung lässt nicht lang auf sich warten: Seine abgöttisch verehrte Frau betrügt und verlässt ihn, und Eddie gesellt sich bald zu jenen, die man abfällig als Bodensatz der Gesellschaft tituliert. Mit modernen Maßstäben gemessen haben wir es also mit einem absoluten Versager zu tun, der mit Anfang 30 keiner geregelten Arbeit nachgeht und auch sonst nicht das Geringste zum gesellschaftlichen Wohlstand beiträgt. Ob er deswegen ein schlechtes Gewissen mit sich herumträgt? Mitnichten!

Ich bekomme welfare, eine Art Wohlfahrtsunterstützung. Ich liege euch also auf der Tasche. Ihr arbeitet und zahlt Steuern, und ich mache keinen Finger krumm […]. Währrenddessen haue ich meine erste Portion Kohlsuppe in mich rein, dann saufe ein bisschen was, manchmal sogar bis zum Umfallen […].“

Eddie schreibt zunächst für das Emigrantenblatt „The Russian Cause“, bis er dort wegen eines unliebsamen Artikels gefeuert wird. Daraufhin verdient er sich mit Gelegenheitsjobs als Kellner und Möbelpacker etwas zur Sozialhilfe dazu. Einen vernünftigen Job zu ergattern scheint ohnehin utopisch, da sein Englisch stark zu wünschen übrig lässt, und so teilt er das Schicksal vieler russischer Dissidenten, die einst mit rebellischem Pathos Geschichten und Gedichte über das trostlose Leben schrieben. In Amerika interessiert das allerdings niemanden. Seine Verachtung gegenüber dem oberflächlich-amerikanischen Leben ist daher zwangsläufig der Grundtenor des Romans. Wie sollte das auch anders sein, wenn jemand, dem ob seines dichterischen Genies eigentlich Weltruhm zustünde, sich mit sporadischen Handtaschendiebstählen und Aushilfsjobs über Wasser halten muss? Wenn er sich nicht als Tagelöhner verdingt, stehen Alkoholexzesse á la „Reise nach Petuschki“ und sexuelle Eskapaden auf der Tagesordnung. Er kultiviert seine armselige Bohème- und Künstlerexistenz, und obwohl Anspruch und Wirklichkeit weit auseinanderklaffen, bewohnt er in seinen Gedanken Traumschlösser und kein heruntergekommenes Hotelzimmer. Vegetiert Eddie nicht gerade von Depressionen und Liebeskummer geplagt auf seinem Bett vor sich hin, ist er fest entschlossen, sich einen Namen zu machen. Dann stürzt er sich kopfüber ins pralle Leben – und New York ist voll davon.

Wir tanzten beide nach der Melodie von ‚Schwarze Augen‘ […]. Welche Trauer und welche Freude in diesen asiatischen Klängen…Abgesehen vom welfare verband mich nichts mehr mit dem Rest der Menschheit […]. So feierte ich , Bier trinkend und Marihuana rauchend, dort, wo sie mich betrogen hatte, den fünften Jahrestag unseres Kennenlernens.“

Eddie ist beständig auf der Suche nach Abenteuern, weshalb er auf oft stundenlangen Spaziergängen durch die Betonwüsten der Stadt Ausschau nach verrückten Zeitgenossen hält. Er, der zur Anfangszeit in New York zusammen mit Helena noch in der high society verkehrte, bewegt sich wie ein soziales Chamäleon durch die Stadt findet sich mit jedem Außenseiter zurecht: Egal ob Obdachlose oder Junkies, stinkreiche homosexuelle Sugardaddies oder trotzkistische Journalisten, die Hauptsache ist, dass die ihn umgebenden Personen mindestens genau so skurril und närrisch sind wie er selbst.

„Rosanne war die erste Amerikanerin, mit der ich schlief. Es war ein Ereignis von symbolischer, zukunftsträchtiger Bedeutung, deshalb hatte ich den 4. Juli dafür ausersehen, den zweihundertsten Tag der amerikanischen Unabhängigkeit.“

 

Der herumstreunende Taugenichts Eddie lässt seinen testosterongesteuerten Trieben freien Lauf, nachdem seine große Liebe ihn verlassen hat. Wenig überraschend sollte daher die Tatsache sein, dass der ohnehin freche Stil bisweilen ins Obszöne abdriftet. Aufgrund der äußerst lebhaft beschriebenen Szenen wird die Vorstellungskraft des Lesers nicht zu arg strapaziert. Dieser offensiv-unverhohlene Schreibstil provoziert und konfrontiert den Leser am laufenden Band mit aberwitzigen und peinlichen Situationen. Wortreich beschreibt er diverse sexuelle Handlungen (gerne auch mit völlig Fremden gleichen Geschlechts und vorzugsweise schwarzer Hautfarbe), Körperteile und Gerüche, um ein möglichst detailliertes Bild seiner Erlebnisse zu zeichnen.

„[…] und ihre Ausdünstung erinnerte mich, ich weiß nicht warum, an den Geruch der mit Teppichen austapezierten jüdischen Wohnzimmer in Charkow. Es fehlten nur noch ein staubschwerer Sonnenstrahl schräg durch den Raum und die Fliegen. Endlich gelang es mir, mich so weit von ihr zu befreien, dass ich sie mit meinen Stößen beglücken konnte, wie es sich gehört.“

Auch sonst lässt uns Eddie tief in seinen abwechslungsreichen Alltag einblicken, und hier kommt seine große Auffassungsgabe voll zum Vorschein. Seine Beobachtungen, Kommentare und Wertungen gegenüber Personen sind beinahe von soziologischer Qualität und machen es dem Leser sehr leicht, sich mit dem Protagonisten und seiner Lebenssituation zu identifizieren. Er ist voller Zorn und Abneigung gegenüber der seelenlosen Konsum- und Plastikkultur der USA, doch auch voller Antipathie gegen das repressive, noch immer menschenunwürdige System der Sowjetunion. Besonders zu Schaffen macht ihm der Fakt, dass hier im „freien Westen“ jeder die Möglichkeit hat, seine Meinung kundzutun, ohne dass jemand wirklich Gebrauch davon macht. Deshalb sei es unsinnig, einem US-Durchschnittsbürger erklären zu wollen, weshalb es in Russland Menschen gebe, die ihr letztes Hemd für die Meinungsfreiheit geben würden. Weder die realsozialistische noch die kapitalistische Lebensweise sagen ihm zu, und weil er beide Welten von innen her kennt, wirkt seine hier und dort angebrachte Kritik authentisch, beißend und lebensnah.

An Eddies Seite werden die Monologe häufig zum Wechselbad der Gefühle. Hatte man sich auf der vorherigen Seite noch an Sarkasmus und Taktlosigkeit erfreut, so eröffnet er dem Leser kurz darauf intime Einblicke in sein Seelenleben, die Zeugnis von Zerissenheit und Ziellosigkeit sind:

„Ich spürte so deutlich wie nie zuvor, dass mir ein Ziel fehlte […] Mit meinem extremen Bedürfnis nach Liebe ging es mir eben schlechter als den anderen. Nur eine große Idee hätte meinem Leben wieder einen Sinn geben können. Nur mit so einer Idee im Kopf hätte es mir Freude gemacht, in einem schönen Wagen zu fahren, […] – nur wenn ich jede einzelne Stunde meines Lebens einer großen Idee, einer großen Tat hätte weihen können. Alles andere musste unweigerlich auf Melancholie und Resignation hinauslaufen.“

Das Gefühl, nicht gebraucht zu werden und auf sich selbst zurückgeworfen zu sein, lernt er erst im Westen kennen. In Charkow oder Leningrad gebe es zwar keine bunten Leuchtreklamen, doch dafür sei man stets von Bekannten und Freunden umgeben, mit denen man in Ruhe Wodka trinken könne. Der Roman ist ein wahrer Leckerbissen für all jene, die wie der Autor selbst zwischen den Stühlen stehen und darüber hinaus eine Vorliebe für gewitzt dargebotenen Zivilisationsekel haben. Limonow schert sich nicht um literarische Konventionen, und vielleicht bereitet einem das Lesen deswegen so viel Vergnügen. Ferner ist Eddies Geschichte ein Fingerzeig auf die politisch höchst abwechslungsreiche Vita des Autors. Kein Wunder also, dass jemand wie Limonow im korrupten Russland der Jelzin-Ära die Chuzpe besitzt, gemeinsam mit Alexander Dugin die „nationalbolschewistische Partei“ zu gründen, um der politischen Elite gehörig auf den Zeiger zu gehen.

 

Literatur:

Eduard Limonow – Fuck off, Amerika. Heyne (6. Auflage), München 1990.

Emmanuel Carrère – Limonow. btb-Verlag (1. Auflage), München 2014.

 

 

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