Ezra Pound – Fortdichtungen des Unerreichbaren

Als Faschist verfemt verlässt der amerikanische Dichter Ezra Pound im Jahr 1972 die Weltbühne. Auch wenn sein Werk in der angloamerikanischen Dichtung große Spuren hinterlassen hat, sah er sich gegen Ende seines Lebens als gescheitert an. Doch die Ambitionen des Poeten wurden bereits in jungen Jahren unerreichbar hoch gelegt: Die Poesie in ihrer höchsten Form zu erreichen, nichts Geringeres war sein Ziel. Davon zeugt auch seine jetzt erstmals auf Deutsch erschienene Abhandlung „Der Geist der Romantik.“

Nachdem unser Autor Michael Völkel bereits vor einiger Zeit das schwierige Vermächtnis des Dichters in den Blick genommen hat, widmet er sich nun diesem literaturtheoretischen Essay, einem bedeutenden Zeugnis über die innere Verfasstheit Pounds.

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Das Bildnis des Ezra Pound

Ezra Pound verstand sich als Autorität wie als Künstler und das schon sehr früh. Die Fotografie, die der Wolff Verlag seiner ansprechenden Erstübersetzung von Pounds „The Spirit of Romance“ voranstellt, zeigt den jungen Autor dann auch in einer Haltung, die stark an Stefan George gemahnt, der ähnlich über sich dachte. Die würdevolle, beinahe klerikale Pose eines jungen Mystagogen stimmt den Leser in passender Weise ein. Man hat demzufolge auch keine Seminararbeit eines Studenten vor sich, geschweige denn ein weiteres, gängiges Stück Sekundärliteratur über die Troubadours und ihre Fortwirkung in der romanischen Lyrik. Ezra Pound, der sich einen Seitenhieb gegen eine, seiner Meinung nach, typisch deutsche Wissenschaftsliteratur nicht verkneifen kann, verschmäht die etablierten akademischen Weihen mitsamt ihren obligatorischen Konvoluten. Sicher, der damals 24-Jährige hat ab 1909 in London Vorlesungen zu diesem Themenkomplex gehalten, die nun in der deutschen Übersetzungen von Florian Scherübl in einem Band zusammengefasst sind, doch verraten sie mehr über Pounds Zugang zur Lyrik, als über rein historische Fakten.

Der Leser nimmt an der Kennerschaft wie an der Leidenschaft eines jungen Dichters teil, für den der mythische Geist der Antike fortlebt. Ein Geist, der sich nach seiner Lesart durch die Jahrhunderte hindurch in der Provence wie später in der Toskana am Reinsten erhalten konnte und der somit auch nie ganz erloschen ist. Der Leser sieht Pound beim Lesen ausgewählter Passagen von Arnaut Daniel bis zu breiten Auszügen aus Dantes Commedia zu und lässt sich von ihm über das „Universum aus flüssiger Kraft“(113) belehren, welche nur in der Lyrik (allenfalls noch im Drama, nie jedoch im Roman) zu vollendeten Formen gerinnen konnte. Ein Florilegium an Beispielen, die Pound selbst übertragen hatte und welche nun von Florian Scherübl kongenial im Deutschen wiedergegeben werden, macht das Lebensanliegen des Ezra Pound plastisch: Make it new! Ein griffiges, sehr amerikanisch anmutendes Credo, das keine „Vitrinen-Kontemplation“ zulassen will, wie sie vielleicht der alte Kontinent bevorzugt. Es geht um eine Art von Destillation, die den Geist aus einem lyrischen Corpus freilegt, damit er sich in neuen Formen verpuppen kann.

Schon beim jungen Pound kann es daher kein finsteres Mittelalter noch eine per se „erleuchtete“ Moderne geben. Dieser Geist ist nicht zeitgebunden und allenfalls mit religiösem Vokabular zu umschreiben. Daher ist auch die erste Schwierigkeit (Pound setzt einiges an Vorwissen voraus und ist durchaus stolz auf seine Erudition) speziell für deutsche Leser im Titel gegeben, denn es geht mitnichten um die literaturhistorische Epoche der Romantik und deren „Zeit-Geist“. Es geht Pound um den Geist weit hinter jedem Zeitgeist, der ins Unvordenkliche zurückreicht und dessen prinzipielle Unverfügbarkeit am ehesten noch in den lyrischen Romanzen der Troubadours und ihrer unmittelbaren Nachfolger ansichtig wird.

Fortdichtungen des Unerreichbaren

Alle Dichtung ist Fortdichtung. In Pounds Verständnis knüpft Dichtung, welche diesen Namen verdient, an ein Ergriffenwerden durch Seinsmächte an, die letztlich ins Dunkle der Menschheitsgeschichte zurückreichen, das jedoch prinzipiell zu allen Zeiten möglich ist. Fassbar wird diese Ergriffenheit nur durch die Formgebung, welche den Geist gewissermaßen „aufzuhalten“ versucht. Daher sind die großen religiösen Werke mit Vorliebe in Versform gehalten. Zwar liegt er damit nicht allzu fern von der klassischen Definition des Aristoteles, der die Dichtkunst als Mimesis, als Nachahmung alles machtvoll Natürlichen begriff. Doch reicht Pound mit seiner Sicht an tiefere Motivationsschichten, gleichsam an den Ur-Impuls, der den Poeten, sei es auch unbewusst, antreibt heran.

Nach dem äußeren Untergang der antiken Welt und dem Heraufziehen der mittelalterlichen Christenheit deutet wenig darauf hin, dass jener mythische Geist der Antike diesen Umbruch überstanden hätte. In der Region der Langue d’Oc, der südfranzösischen Provence, die manch griechische Siedlung gekannt hatte, taucht eine Form der Dichtkunst auf, die sich nach Ezra Pound aus „Halberinnerungen hellenistischer Mysterien“(112) zu speisen scheint. Die Provence wird kurzerhand zur Wiege der nach-antiken Lyrik, bis hinauf zur nordeuropäischen Minne. Eine formbewusste Dichtung bahnt sich ihren Weg, die überraschend mehr Themen behandelt, als die bekannte Sehnsucht des Dichtenden nach einer für ihn unerreichbaren Dame. Die Troubadours (oder Trobadors, von trobar-clus „dunkle Dichtung“) umgreifen die verschiedenen mittelalterlichen Stände zu einer Art informellen, dichtenden Bruderschaft, einer Aristokratie sui generis. In ihren Reihen findet man den Herzog von Aquitanien, Wilhelm IX., den sittenstrengen Marcabru, den armen Ritter Bertran de Born, den virtuosen Liebesdichter Arnaut Daniel, aber auch Abkömmlinge von Hofdienern, die Dante in seiner Divina Commedia später verewigt hat. Ihr Repertoire ist stilistisch wie thematisch reichhaltig: Sirventes, Sestinen, Pastourelles u.a. gehören dazu. Es gibt das Bemühen um Reinigung der Seele in der liebenden Anbetung einer entfernten (oft verheirateten) höheren Dame, die nicht selten eine Nähe zu Marienhymnen erkennen lassen, es gibt aber auch Satiren, Sozialkritik, Totenklagen und veritable Kriegslieder. Vitalität und Askese gehen eine einzigartige Verbindung ein, schließen sich keineswegs aus, sondern heben einander. Pound spekuliert auf die klösterliche Ausbildung vieler Troubadours, in der die Seelenreinigung an oberster Stelle stand.

Die Motive sind jedoch nicht christlich-dogmatischer Natur, vielfach sind Anklänge an frühe keltische Stoffe auffindbar oder Bezugspunkte zu den bereits erwähnten antiken Mysterien. Die Lieder der Troubadours sind ein Beleg für einen Raum kreativer Freiheit, für Selbstironie und Selbstreflexion neben der herrschenden kirchlichen Dogmatik des Mittelalters. In den Augen des jungen Ezra Pound kommen gerade sie seinem Bedürfnis nach einer innigen Verschmelzung von Philosophie und Ästhetik nahe und machen das als dunkel verschriene Mittelalter mit einem Mal hell. Kurze Abstecher gehen nach Spanien, zum Heldenlied des Cid, der die Kriterien Pounds ebenso erfüllt.

In den Kreuzzügen gegen die Albigenser geht diese lyrische Kulturlandschaft schließlich unter, um die Fackel nun an die Toskana weiterzureichen, wo dieses Erbe in anderer Gestaltung noch einmal auflebt.

Schwundstufen des lyrischen Geistes

Höhepunkt von Pounds Streifzug durch die romanische Lyrik des Mittelalters sind die italienischen Canzoni und das Epos, das wie kein zweites den Geist, um den es ihm geht, noch einmal aufleben lässt: Dantes Divina Commedia. Immer mehr entpuppt sich Ezra Pound als eine Art Vergil, der den Leser durch die verschiedenen kulturellen und landschaftlichen Kreise geleitet und mit ihm (oder eher für ihn) die ausgewählten Kostproben im Hinblick auf ihre Geistigkeit befragt. Man erfährt dabei, dass das italienische Canzone, anders als noch die provenzalischen Lieder, eine gewisse Intellektualisierung erfahren hat, da es gelesen werden müsse, um in seinem Gehalt verstanden zu werden, während in der Provence noch die orale Weitergabe genügte.

Die Schrift- und Buchdruck-Kultur verlangt ihren Tribut und wird damit zu einer ersten Schwundstufe des lyrischen Geistes. Ferner macht sich gerade in Italien die Macht der kirchlichen Vorgaben bemerkbar, die nicht ohne Auswirkungen auf die lyrische Produktion bleibt. Die Trinität christlich eingefärbter Poesie, die gleichwohl einen hohen Grad an Perfektion erreicht, setzt sich für Pound aus Guido Cavalcanti, Dante Alighieri und Cino da Pistoia zusammen. Gerade in Dantes Meisterwerk erkennt Pound einen großen Hymnus auf den paganen Geist der Antike, der, verdeckt und für die kirchlichen Autoritäten unentdeckt, vom genialen Florentiner (und „weißen“ Guelfen) in die Höllenkreise platziert worden ist. Davon ist Pound überzeugt.

Mit Dante endet eine formale wie organische Verbundenheit mit diesem Geist, dem Urquell aller Lyrik, der im Fortgang der Literaturgeschichte sich aufsplittert und nur punktuell noch einmal aufscheint. In den Dramen Lope de Vegas und Shakespeares gibt es mehr als nur Spuren von ihm. Vor allem letzterer nimmt für den Amerikaner Pound im englischsprachigen Raum fast die Stellung Dantes ein, denn „nichts, das auf Shakespeare aufbaut, übertrifft ihn“(235), so verkündet er im Brustton der Überzeugung. Das Drama stellt zwar eine weitere, nicht geringe Schwundstufe dar, doch bieten gerade diese Autoren dem lyrischen Geist in ihren Dramen-Dichtungen noch eine ausdrucksstarke Heimstatt. Im frühen Skandaldichter François Villon sieht Pound dann noch einmal ein künstlerisches Aufbegehren eines Menschen, der als lyrischer Anti-Held einen Kampf um Originalität führt und damit die andere, die rebellische Seite Pounds berührt, nämlich „das göttliche Recht des Menschen, er selbst zu sein“(229).

Es mag verwundern, dass Pound in seinem Parcours die Renaissance fast gar nicht behandelt, sie allenfalls als „Temperament“(215) abhakt und den lyrischen Niedergang mit ihr beginnen lässt, ganz zu schweigen vom Barock. Den Don Quijote (Romane haben Pound nie interessiert) erwähnt er einmal in einem Nebensatz, Miltons Paradise lost wird verrissen und Landsmann Walt Whitman mit Verachtung gestraft. Ezra Pound ist ein streitbarer Kritiker, dessen Ansprüche gefürchtet hoch sind. Lyrik ist für ihn Heldenwerk (einmal spricht er von Helden-Verehrung), ein Kampf um den Geist und mit dem Geist und kein gereimter Zierrat.

„Der Geist der Romantik“ ist nicht nur ein stark subjektives Zeugnis für Ezra Pounds Lesart früher, romanischer Lyrik, sondern auch für seinen jugendlichen, noch ungebrochenen Optimismus. Der junge Pound glaubt noch, der Geist, welcher diese Lyrik beseelte, ließe sich wieder erfahren. Nur in dieser leiblich-seelischen Erfahrung, gepaart mit stilistischer Disziplin, sei eine Art von „apostolischer Sukzession“ mit den antiken Dichter-Helden und damit Lyrik in ihrer höchsten Form überhaupt möglich. Den Menschen, dem das zuteil wird und der darum im Sinne Pounds Lyriker genannt werden dürfe, beschreibt er an einer Stelle so:

„Ich denke an einen Menschen, der Persephone und Demeter versteht und einen anderen, der den Lorbeer versteht und wieder einen anderen, der – man muss es wohl sagen – Artemis getroffen hat. Diese Dinge sind für sie real.“

Ezra Pound, Der Geist der Romantik (übersetzt von Florian Scherübl), Wolff Verlag 2018, 19,90€. Hier bestellen.

 

 

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