„Die Ästhetik des Alltags entdecken“ – Im Gespräch mit Jan Bärmig

Der in der Nähe von Chemnitz lebende Künstler Jan Bärmig arbeitet abseits des modernen Kunstbetriebs. Inspiration sind ihm seine eigenen Erinnerungen und das konkret Erfahrbare. Dennoch finden wir in Bärmigs expressionistisch anmutenden Darstellungen einen Hauch von Nostalgie und Sehnsucht. Seine Städtedarstellungen zeugen von mehr als nur einem musealisierten europäischen Geist – Bärmig führt uns mitten hinein.

Wir durften den spannenden Künstler treffen und mit ihm über die Motivation hinter seinen Bildern sprechen und der Frage nachgehen, welche Wirkung die Kunst heute noch haben kann.

Es ist die Verbindung von Geschichte und Gegenwart. Gegenwart, gewachsen aus der Geschichte.

Herr Bärmig, Sie sind in der DDR aufgewachsen und haben dort Ihre künstlerische Sozialisation erfahren. Was hat Sie so an der Kunst gefesselt, dass Sie Künstler geworden sind? War es die Ästhetik oder eher ein innerer Drang? 

Durch das Malen entwickelte ich einen eigenen Blick auf meine Umwelt. Dazu kam das Staunen über die Dinge, die die Hand so zustande bringen konnte.
Die Ästhetik des Alltags zu entdecken und zu bewahren, in Bildern und Zeichnungen, beschäftigt mich immer wieder aufs Neue. Es ist schon ein innerer Drang, zu zeigen, was mir auffällt. Wenn auch eher in Bezug auf das Erscheinungsbild der Welt. Das Innere der Dinge zu erforschen liegt mir nicht so sehr.

Krumlov VIII.

Später haben Sie dann an einer Kunstschule in Bochum studiert. Wie haben Sie den Unterschied des Kunstbetriebs in Ost und West wahrgenommen? Hatte die Kunst in Ostdeutschland im Alltag einen höheren Stellenwert als im Westen?

Den Kunstbetrieb im Osten habe ich nicht kennenlernen können, dazu war ich zu jung.
Was sich mir aber als Unterschied eingeprägt hat, ist die Tatsache, dass im Osten ein Bild ein Bild war. Bilder wurden um ihrer selbst willen geachtet. Weil sie den Alltag zeigten, kritisierten oder bestätigten. Sie waren Bestandteil des Lebens, nicht Zeichen von Bildung und Wohlstand. Jeder der wollte, hatte den Zugang zu Möglichkeiten, sich selbst mit allen möglichen Kunstformen zu beschäftigen.

Die Art und Weise, Kunst als Wertgegenstand, als Geldanlage oder Spekulationsobjekt zu
betrachten, begegnete mir erst im Westen. Ebenso der Anspruch, Kunst als etwas elitäres zu begreifen.

Quedlinburg VII.

Fühlen Sie sich selbst dem modernen Kunstbetrieb verbunden? Pflegen Sie Kontakte in dieses Milieu oder werden Sie vielleicht sogar von einigen zeitgenössischen Künstlern beeinflusst?

Schon allein die geografische Lage meines Wohnortes verhindert einen Zugang zum modernen Kunstbetrieb. Es gibt keine Galerie und keinen Kunsthändler, die meine Bilder betreuen. Ausstellungen erfolgen meist in Eigenregie. In meiner Umgebung gibt es ein lockeres Netzwerk aus Künstlern mit dem Betrieb einer Galerie und gelegentlichen gemeinsamen Aktionen. Trotzdem beobachte ich die allgemeine Entwicklung. Interessant für mich ist dabei vor allem die Frage der Themen. Und es gibt ein paar Künstler, deren Arbeit mich interessiert.

Ich halte die Beschäftigung mit diesen alten Städten deshalb nicht für alteuropäisch, sondern stelle ich mir so die Idee eines europäischen Zusammenlebens vor.

Einige Ihrer Bilder lassen Anklänge an Lyonel Feininger erkennen. Auch einige andere Bilder erinnern partiell an Werke deutscher Expressionisten, wenn auch nicht ganz so farbenfroh. Ist das ein Zufall oder fühlen Sie sich stilistisch der klassischen Moderne verbunden?

Erinnerungen an den Expressionismus, die in den Bildern anklingen, sind nicht nur zufällig. Sie sind mehr als nur ein stilistisches Mittel. Eher Ausdruck der gleichen Sprache, vielleicht geprägt durch die geografische Verbundenheit und das Aufwachsen in der gleichen Landschaft. Die Expression, der Ausdruck eines Empfindens ist immer Teil meiner Bildidee. In den Farben, in den gebrochenen Linien und den Diagonalen.

Krumlov XIX.

Dennoch wirken Ihre Bilder im positiven Sinne etwas aus der Zeit gefallen. Sie lassen eine verschwommene Erinnerung an die Charakteristika alter Innenstädte aufleben. Ihre Flächen sind klar, aber scheinen doch anzudeuten, dass dieses Bild der Stadt längst nicht mehr existiert. Haben Sie ein „antiquarisches“ Interesse an der Schönheit alter Stadtstrukturen oder glauben Sie, dass diese Elemente und Vorstellungen für die heutige Zeit noch fruchtbar gemacht werden können?

Jedes meiner Bilder ist eine Erinnerung. Sie können auch gar nichts anderes sein. Ich betreibe ja keine Webcam, sondern stehe mit Farben vor einer Leinwand und versuche, mich an die Situation zu erinnern als ich die Szene das erste Mal sah. Die Unschärfe, die Diagonalen sind für mich Mittel, um Bewegung auszudrücken. Zeitliche Bewegung, Veränderung. Gleichzeitig gibt es auch Dinge, die bleiben, überdauern. Die Geschichten hinter den Mauern. Als erstes interessieren mich formale Dinge: vom Alter krummgewordene Dächer, schiefe Fenster und Türen, ausgetretene Gehsteige. Die Zeit zeichnet die Häuser genauso wie die Menschen.

Nein, es ist kein antiquarische Interesse. Die Häuser sind ja keine Museen, sondern immer noch bewohnt – von modernen Menschen. Es ist die Verbindung von Geschichte und Gegenwart. Gegenwart gewachsen aus der Geschichte. Manchmal glaube ich, dass im Allgemeinen alles Vergangene verloren geht. Wobei es ja nicht darum geht, die Vergangenheit wieder aufleben zu lassen, sondern eher darum, durch ein Erforschen der
Vergangenheit der Zukunft eine Richtung zu geben.

Krumlov XIV.

In der Zeitschrift TUMULT wurden im Frühjahr Bilder von Ihnen präsentiert. Dort heißt es als Kurzeinführung: Bärmig rückt „die architektonischen Grundstrukturen und Wahr-Zeichen mitteleuropäischer Altstädte in den schimmernden Dunst des Überdauernden“.

Überdauern die europäischen Innenstädte, teils musealisiert bzw. restauriert, nur noch als Fassade? Oder glauben Sie, dass aus dem Überdauern auch etwas Neues erwachsen könnte? 

Viele dieser Altstädte gehören zum Weltkulturerbe. Das sagt schon alles über die mögliche
Bedeutung dieser Orte. Dass sie fast nur noch als Freilichtmuseum vermarktet und besucht werden, wird ihnen nicht gerecht. Mich interessiert in erster Linie die formale Struktur dieser Städte, das Muster des Fachwerks, die Linien der Dachkanten, die Farben der Dächer und Mauern. Das Wissen um die Geschichten hinter den Fassaden ist jedoch genauso Gegenstand der Bilder, sichtbar in gekrümmten Dachflächen, schiefen Fenstern, schräggestellten Giebeln – und alle Flächen miteinander verwoben.
Die Krumlov-Serie entstand in dem Wissen, daß Schiele fast hundert Jahre vorher dort gearbeitet hat, oftmals vor den gleichen Motiven. Dieses Wissen hat mich aber nicht daran gehindert, meinen eigenen Blick auf die Stadt zu finden. In dieser Art und Weise könnte ich mir ein Anknüpfen an die Vergangenheit vorstellen. 

Krumlov XVII.

In Ihren Bildern treffen wir auf etwas Alteuropäisches, was uns im täglichen Leben in diesen Städten nicht nur architektonisch abhanden gekommen ist. Sind Sie auf der Suche nach dem spezifisch Alteuropäischen?

Ganz salopp gesagt suche ich gar nichts. Mir begegnet etwas. Oder: ich finde etwas.
Im Nachhinein gesehen haben viele der besuchten Städte etwas mit Künstlern zu tun, deren Arbeit mehr oder weniger Auswirkungen auf meine Bilder hat. Quedlinburg mit Feininger, Krumlov mit Schiele, Dresden mit den Malern der „Brücke“, Bern mit Klee, die Ostseeküste mit Friedrich. Gemeinsam ist diesen Orten eine Bedeutsamkeit in der kulturellen Entwicklung Europas. Alle wichtigen kulturellen Epochen haben ihren nationalen Ausgangspunkt. In Venedig, in Rom, im Wald von Fontainebleau, in Dresden, in Paris. Ausgebreitet haben sich diese Ideen dann über ganz Europa, ungeachtet irgendwelcher Landesgrenzen. Ich halte die Beschäftigung mit diesen alten Städten deshalb nicht für alteuropäisch, sondern so stelle ich mir die Idee eines europäischen Zusammenlebens vor. Irgendwo entwickeln ein paar Leute eine Idee, künstlerisch, wissenschaftlich, philosophisch. Und die wird dann über alle Grenzen hinweg weitergetragen.

Krumlov XVI.

Ihre Bilder suggerieren darüber hinaus ein Verlangen nach dem Spezifischen und Eigenen. Glaube Sie, dass dieses Verlangen bei dem Einzelnen von Anfang an vorhanden sein muss, oder kann man durch die Kunst ein Gespür für die verlorenen Dinge der Tradition und der Kultur aufwecken?

Wir wurden erzogen, in der Gruppe zu leben, zu überlegen, zu entscheiden. Einer für alle, aber ganz selten alle für einen. Eine eigene Meinung, ganz besonders wenn sie von der allgemeinen abwich, war schwer zu vertreten. Mein Vater bestärkte mich aber, eine eigene Meinung haben zu können. Es stellte sich heraus, dass die Kunst mein Weg war, meine Meinung, meine Sicht auf die Dinge zeigen zu können. Ja, ich glaube, dieses Verlangen muss vorhanden sein. Zu einfach ist es, sich mit der allgemeinen Meinung einverstanden zu erklären. Für etwas zu sein, oder eben gegen etwas. Wie alle. So einfach ist es ja nicht. Ihre Frage ist ja die: Kann ich mit Kunst die Welt verändern? Nein, kann ich nicht. Ich kann
bestenfalls jemanden aus der Ruhe bringen. Das wäre die interessantere Wirkung…Oder aber in seiner Weltsicht bestärken. Wenn aber jemand für diese feinen Schwingungen, die Kunst aussendet, nicht empfänglich ist, erreicht man gar nichts.

Herr Bärmig, vielen Dank für das Gespräch.

 

// Alle hier dargestellten Bilder haben wir von Jan Bärmig für dieses Interview zur Verfügung gestellt bekommen. Ihm sind alle Rechte vorbehalten. Bei Fragen zu seinen Bildern und seiner Personen erreichen Sie Bärmig über seine Internetpräsenz.

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