„Ich bin Madarejúwa, ein Krieger vom Volk der Tenharim, und ich habe keine Angst.“ In einem Buch, das er zusammen mit dem ZEIT-Journalisten Thomas Fischermann geschrieben hat, berichtet Madarejúwa von seinem Leben im Amazonas-Wald und den Bedrohungen, denen sein Volk ausgesetzt ist.
Die Tenharim zählen inzwischen wieder 900 Menschen. Sie leben in einem Gebiet von der Größe Schleswig-Holsteins, ein Gebiet, das von allen Seiten bedroht ist. Holzfäller und Rinderfarmer, Goldsucher und geplante Staudämme. Madarejúwa will sein Volk gegen all diese Gefahren verteidigen und ist auch überzeugt, daß sein kriegerischer Stamm seine Feinde besiegen wird.
Kriegerisches Waldvolk
Früher zählten die Tenharim vermutlich einmal ca. 10.000 Menschen. Erste Berichte über sie lassen sich mit Sicherheit ab den 1920er Jahre verifizieren. In diesen Berichten werden die Tenharim als kriegerisches Volk geschildert, die sich im 19. Jahrhundert erfolgreich gegen Siedler Kautschuksammler und feindliche (weiße) Soldaten wehrten. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts begannen sie Handel mit Kautschuk, „Kastanien“ (so bezeichnen die Tenharim die Paranuß) und Maniokmehl. Regelmäßigen Kontakt zu Menschen außerhalb ihres Volkes hatten sie aber nicht. Die Händler bekämpften sie, wenn sie sich nicht an die Abmachungen hielten.
Diese relativ isolierte Lebensweise änderte sich 1969 mit dem Beginn des Baus der Transamazônica, eines Straßenprojekts, das Atlantik- und Pazifikküste Südamerikas auf der Höhe des Äquators miteinander verbinden soll. Die Arbeiter, die an der Transamazônica bauen, schleppen Krankheiten in das Gebiet der Tenharim, die diese bisher nicht kannten und die das Volk fast vollständig vernichten. Die Tenharim sind nicht die einzigen, denen die Straße fast den Untergang bringt. Mehrere andere Völker werden zum Teil oder fast vollständig ausgerottet.
Die Zivilisation bringt fast die Vernichtung
Ungefähr 100 Angehörige des Volkes überleben. Seit diesem Massensterben hat das Volk der Tenharim keine Schamanen mehr. Die Schamanen haben bei den Tenharim eine besondere Rolle bei der Bewahrung der Erinnerung und sind auch für die Ernennung neuer Schamanen zuständig. Es wird also bei diesem Volk nie wieder Schamanen geben.
Dennoch pflegen die Tenharim die kollektive Erinnerung intensiv. Madarejúwa spricht mit tiefer Loyalität über seine Kultur und sein Volk, auch wenn er um deren Bedrohung weiß. Beim Erzählen und Zuhören in der Gemeinschaft geben die Alten ihr Wissen weiter. In den Erzählungen vermischt sich häufig die Gemeinschafts- und die Individualperspektive; was der Einzelne erlebt und berichtet, wird so zur Erinnerung des ganzen Volkes.
Kollektives Naturbewußtsein
Als erste Sprache lernen die Tenharim weiterhin ihre eigene, später dann portugiesisch. Ebenso lernen sie bereits als kleine Kinder die Kunst des Überlebens im Wald. Für Madarejúwa ist ein Leben ohne den Wald kaum denkbar. Neben den Geschichten über sein Volk erzählt er am meisten über die Pflanzen und Lebewesen im Wald. Er bewegt sich im Wald absolut sicher, lockt Tiere an, war einer der jüngsten Jäger seines Volkes, kann wirklich „die Dinge bei ihrem wahren Namen nennen“.
Madarejúwa weiß um die Gefahren für sein Volk. Er wird möglicherweise einer der Anführer seines Volkes werden. Er befürwortet, daß die jungen Tenharim auch die Kultur der Siedler kennen lernen. Er selbst benutzt moderne Technik und glaubt, die Kenntnis der Rechte und Gesetze könne ihm helfen, die Vernichtung seiner Heimat aufzuhalten.
Stirbt der Wald, sterben die Tenharim
Thomas Fischermann hat die Gespräche mit Madarejúwa sehr einfühlsam zu einem gut lesbaren Text verwoben, der neben der Geschichte Madarejúwas mythologische, historische und botanische Fakten bereithält. Er selbst sieht die Zukunft der Tenharim skeptisch. Das verwundert nicht, angesichts der Pläne der brasilianischen Regierung, die weiterhin den Amazonas-Wald wirtschaftlich erschließen will. Sie leistet finanzielle Hilfe beim Straßen- und Staudammbau, unterstützt Großfarmer und Baukonzerne und streicht die finanziellen Mittel der Indianerschutzbehörde. Die Tenharim, so Fischermann gegenüber der ARD „sagen selber, dass sie sich sehr gut wehren können und, dass sie immer noch all ihre Feinde besiegt haben. Ich glaube, dass es sehr, sehr schwer ist, so ein Gebiet zu verteidigen. 900 Mann? In einem Gebiet, das so groß ist wie Schleswig-Holstein?“
Brasilien ist der größte Waldvernichter weltweit. Das Land der Tenharim gilt als Abholzungs-Hotspot. Da scheint es nicht wahrscheinlich, daß die Tenharim sich auf lange Sicht durchsetzen können. Der Wald verleiht ihnen ihre Identität. Ohne den Umgang mit ihrer heimischen Natur wüßten sie nicht, wer sie sind. All das Wissen dieses Volkes, die alten Erzählungen und Praktiken ergeben nur hier einen Sinn. Verschwindet der Wald, wird auch das Volk der Tenharim verschwinden.
Weiterführend
Madarejúwa Tenharim und Thomas Fischermann: Der letzte Herr des Waldes. Ein Indianerkrieger aus dem Amazonas erzählt vom Kampf gegen die Zerstörung seiner Heimat und von den Geistern des Urwalds. C.H.Beck, 205 Seiten, 19,95 Euro.
Ein längeres Interview mit Thomas Fischermann gibt es hier.
Bereits vor 30 Jahren schilderte Jean Raspail den Untergang der Feuerlandindianer in seinem Buch „Sie waren die ersten“. Eine Vorstellung des Buches gibt es hier.
Der Photograph Jimmy Nelson widmet sich in seinen Photographien der Lebensweise der letzten verbliebenen Völker, die es schaffen, in der globalisierten und massenmedialen Welt ihre Traditionen und Bräuche aufrecht zu erhalten. Sein monumentaler Bildband „Before they pass away“ hat leider den Nachteil eines sehr hohen Preises. Eine kleine Auswahl seiner Photos erhalt man in der neu erschienenen Zeitschrift magellan.