Das Heilige als Element des Bewusstseins: Mircea Eliade (1)

Mircea Eliade (1907-1986) ist bekannt als der Philosoph des Heiligen. Seine Schriften sind geprägt von einem antimodernen Narrativ. Immer wieder wird er dadurch in den Zusammenhang mit der integralen Tradition gebracht. Seine Theorie über das Phänomen Religion ist aufgrund seiner Tiefenempfindung jedoch weit mehr als das und ein Nährboden für all jene, die die Prämissen einer modernen und materialistischen Weltanschauung in Frage stellen.

Eliade hat ein umfangreiches wissenschaftliches, wirkmächtiges und auch literarisches Werk hinterlassen. Im modernen fachwissenschaftlichen Diskurs jedoch stoßen seine Schriften aufgrund ihres universalgeschichtlichen und generalisierenden Charakters weitestgehend auf Ablehnung. Seine Bedeutung für die Erforschung des Phänomens Religion bleibt jedoch unbestritten. Der universalgeschichtliche Ansatz, mit dem Eliade zum Kern des menschlichen Wesens vorzudringen versucht, lässt ihn eine Theorie über eine existenzielle Erfahrung des menschlichen Daseins aufstellen: Die Erfahrung des Heiligen. Niemand ist bei seinen Forschungen zur Religion jemals so nah mit dem Gegenstand selbst in Berührung gekommen wie Eliade. Gerade deshalb kann er ein so authentisches Bild über menschliche Urerfahrungen zeichnen. Nicht nur aufgrund seiner Biographie sprengt Eliade jeden modernen, naturwissenschaftlichen Ansatz.

Zwischen der Sehnsucht nach Gott und dem rumänischen Bürgerkrieg

Bereits in jungen Jahren gilt Eliade als Sonderling. Frühzeitig interessiert er sich für wissenschaftliche Grenzgebiete wie Theosophie, Okkultismus und Telepathie. So veröffentlichte er bereits im Alter von zehn Jahren erste populärwissenschaftliche Artikel, für die er lokale Auszeichnungen erhielt. Körperlich jedoch war der junge Eliade in keiner guten Verfassung: er litt an Kurzsichtigkeit, Schlafentzug und teilweise an Depressionen. Zeit seines Lebens sollten ihn diese Zustände begleiten. Mit der Beendigung des Abiturs schrieb sich Eliade mit großer Begeisterung in die philosophische Fakultät ein, „besessen von Philosophie und Religion“, wie er selbst anmerkt. Eine prägende Begegnung in seinem Studium macht Eliade mit dem rumänischen Philosophen Nae Ionescu. Eliade ist von Ionescus Idee eines kulturellen Aufbruchs mit der „Erneuerung des religiös-orthodoxen Bodens“ stark beeindruckt. Für Ionescu bedingen sich Theologie und Metaphysik gegenseitig, sodass sich hier ein früher Gedankenanstoß für Eliades „irreducibility of the sacred“ wiederfinden lässt. Aus diesem Impuls heraus ist Eliade 1927 Mitbegründer der sogenannten „Generation„, ein Kreis junger Schriftsteller und Künstler, die sich für die Neuschaffung geistiger Werte einsetzten.

Ein weiteres prägendes Erlebnis in Eliades Leben stellt seine Studienreise nach Indien dar. Seine Faszination für Indien, den „mystischen Kontinent“, ist für sein wissenschaftliches Werk kaum hoch genug einzuschätzen. Die Indienreise war für ihn der Schlüssel zu seiner eigenen religiösen Tradition, dem orthodoxen Christentum. Die Entdeckung der indischen Philosophie hatte ihm die Möglichkeit eröffnet, das Eigene zu entdecken und erstmals mit universalen Elementen des Religiösen in Berührung zu kommen. Bereits vor seiner Reise plagt Eliade jedoch eine tiefe Sehnsucht, die in Indien noch verstärkt werden sollte: „Ich sehne mich nach Gott, ich wünschte er wäre.“ Nach seiner Rückkehr tobte in Rumänien die gewaltsame Auseinandersetzung zwischen der christlich-faschistischen Eisernen Garde und der Regierung. Eliade positionierte sich durch den Einfluss, den sein Lehrer Ionescu noch immer auf ihn hatte, auf der Seite der Eisernen Garde, die auch unter dem Namen „Legion des Erzengels Michael“ bekannt wurde. Eliade veröffentlicht Texte in Zeitschriften, die der Bewegung nahestanden und agierte offen politisch. Dieses Engagement wurde ihm aufgrund des Antisemitismus der Eisernen Garde während seiner langen Karriere immer wieder zum Vorwurf gemacht. Einen Zusammenhang zwischen den Vorwürfen des Antisemitismus bzw. des politischen Extremismus zu seinem wissenschaftlichen Werk herzustellen ist jedoch nicht möglich, wie anerkannte Einführungswerke dokumentieren. Später positioniert sich Eliade klar gegen den Faschismus und Kommunismus als Erscheinungen der Moderne. Im Jahr 1940 flieht Eliade nach Paris und tritt dort mit anderen intellektuellen Größen wie Georges Dumézil und C.G. Jung in Kontakt. In der Pariser Zeit entstehen Eliades wichtigste Werke und seine universalgeschichtliche Theorie des Heiligen gewinnt deutlich an Kontur. So folgen Eliades fachwissenschaftliche Schriften über Yoga oder dem Schamanismus ganzheitliche Ansätze wie „Kosmos und Geschichte“ oder „Das Heilige und das Profane“.

Das Heilige, ein Phänomen sui generis

Für Eliade muss der Entschlüsselung des Phänomens Religion ein grundlegendes Verständnis des Phänomens selbst vorausgehen. Daher muss die Analyse und Interpretation von Religion auf einem allgemeingültigen Religionsbegriff fußen, der, trotz seines universal gültigen Charakters, den Gegenstand in einem bestimmten historischen Kontext nicht verfälscht. Zugleich muss die „historische Bedingtheit eines religiösen Phänomens“ berücksichtigt werden. Das Religiöse kann somit nur unter religiösen Maßstäben betrachtet werden, da es sonst in seiner Bedeutung und „eigenen Modalität“ verzerrt dargestellt wird. Das Historische bedingt in diesem Fall allerdings nur die Erfassung, nicht das Phänomen an sich, da das „Heilige ein Element in der Struktur des Bewusstseins, nicht der Geschichte“ ist. Aufgrund dieser theoretischen Prämisse muss Eliade die modernen Parameter der naturwissenschaftlichen Forschung, die sich auf den Bereich der Geisteswissenschaften ausgedehnt haben, vehement widersprechen.

Eliade spricht von der „eigenen Modalität“ des Gegenstandes, der das Phänomen Religion zu einer Erscheinung sui genereis macht. Diesem Phänomen liegt folglich ein eigentümlicher Charakter zugrunde, der durch äußere Umstände lediglich einzurahmen und nicht zu bestimmen ist. Das heißt, dass das religiöse Phänomen geleugnet wird, sofern es unter ausschließlich äußeren Charakteristika analysiert wird, denn es ist im Kern „unauflösbar und eigenartig“. Eliades Ansatz besteht deshalb in dem Versuch, herauszufinden „worin Religion der Sache nach besteht und was sie offenbart“. In diesem Kontext gilt es, den kulturschaffenden Aspekt hervorzuheben, denn die Einzigartigkeit des Phänomens Religion ruft im Menschen etwas Produktives hervor, da er unmittelbar auf diese Erfahrung des Heiligen reagiert. Dieses Phänomen ist bedingt „in der Bewusstseinsstruktur des Menschen“. So interpretiert Eliade auch den von Nietzsche postulierten Tod Gottes. Gott zeigt sich nicht mehr, der moderne Mensch hat die öffentliche religiöse Symbolik verworfen und somit den Zugang verloren. Jedoch ist das Heilige nicht verschwunden, sondern nur unkenntlich geworden, denn „ein Mensch sein heißt, religiös sein“.

„Das ,Heilige‘ ist ein Element der Bewußtseinsstruktur, und nicht der Bewußtseinsgeschichte. Das Erlebnis des Heiligen ist unauflöslich an die Bemühung des Menschen gebunden, eine Welt zu errichten, die einen Sinn hat.“

In Eliades Biographie sind erste Ansätze zu erkennen, durch die seine Nähe zu dem Gegenstand Religion und seine Sehnsucht nach einem höheren Empfinden deutlich werden. Dennoch stellt sein wissenschaftliches Werk eine einzigartige Theorie über das Phänomen Religion dar, die darüber hinaus die Geistesgeschichte des Menschen aus diesem Aspekt heraus interpretiert. Der Maßstab für das Phänomen Religion kann deswegen kein äußerlicher, sondern nur das Tiefenverständnis des Gegenstandes selbst sein, das in der Bewusstseinsstruktur des Menschen angelegt ist. Das Heilige und somit das Religiöse bilden einen eigenen Kern in der menschlichen Existenz. Auch in der Moderne sind diese Elemente nach wie vor präsent.

 

Literatur:

Mircea Eliade, Die Religionen und das Heilige. Elemente der Religionsgeschichte, Frankfurt/Main 1954.

Mircea Eliade, Erinnerungen 1907-1937, Frankfurt/Main 1966.

Mircea Eliade, Im Mittelpunkt: Bruchstücke eines Tagebuches, Wien 1977.

Mircea Eliade, Indisches Tagebuch. Reise durch einen mystischen Kontinent, Freiburg 1998.

Mircea Eliade, Kosmos und Geschichte. Der Mythos der ewigen Wiederkehr, Frankfurt/Main 2007.

Mircea Eliade, Mythen, Träume, Mysterien, Salzburg 1961.

 

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