Das richtige Leben im falschen (5) – Verantwortung

Wie man sucht, so findet man

In seiner „Anleitung zum Unglücklichsein“ berichtet Paul Watzlawick über den Fall eines Mannes, der in seinem Leben schon mehr als achtzigmal überfallen und ausgeraubt worden ist. Zudem wurde ihm viermal sein Auto gestohlen. Watzlawick führt zu diesem Mann weiter aus: „Er selbst hat keine Ahnung, wie ‚es‘ dazu kommt, und auch die Polizei hat keine bessere Erklärung, außer daß er halt ‚zur falschen Zeit am falschen Ort‘ ist.“ Von einer bloßen Häufung misslicher Zufälle auszugehen, ist in diesem Fall jedoch wenig überzeugend. Watzlawick schlägt denn auch vor, der Mann sei in einer Lage, „wo er eine schwierige Situation selbst erschafft und doch keine Ahnung hat, sie erschaffen zu haben.“

Dies ist aber nicht nur die Lage dieses einen Mannes. Sein (besonders extremer) Fall ist vielmehr exemplarisch dafür, dass jeder von uns etwas in sich trägt, das im Außen zwangsläufig bestimmte Reaktionen provoziert. Das Sprichwort sagt: Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus. Es gilt, sich dessen bewusst zu sein, dass wir selbst es sind, die gewisse Reaktionen und Geschehnisse in der Welt hervorrufen. Was uns geschieht, ist Antwort und Echo unseres eigenen Seins. Das gilt auch für sogenannte Zufälle. Wer sich seiner eigenen Rolle im Spiel des Lebens bewusst ist, der wird sich davor hüten, sich selbst als bloß passives Opfer zu sehen.

Ein Beispiel: Wenn jemand gehäuft misstrauische und ablehnende Reaktionen von anderen erfährt, so liegt dies daran, dass er selbst der Welt ein misstrauisches und ablehnendes Gesicht zukehrt. Andererseits wird derjenige, der sich vertrauensvoll und mit einem großen Ja den Menschen zuwendet, in ihnen auch vertrauensvolle und positive Reaktionen hervorrufen. Allgemeiner formuliert: Die Beziehung zwischen dem Einzelnen und seiner Welt ist nicht die eines isolierten Subjekts, das sinnlosen Reizmassen gegenübertritt. Es ist eine Beziehung zwischen Frage und Antwort, Laut und Echo, eine Beziehung der Resonanz. Das Gute in uns ruft das Gute in der Welt wach, das Böse in uns weckt das Böse in der Welt.

Das Gemeinte unterscheidet sich aber fundamental von der vulgär-esoterischen Vorstellung, man könne durch Wünsche und „positives Denken“ die Realität beeinflussen. Die Welt reagiert nicht auf die Oberfläche unseres Seins und Bewusstseins, sondern auf das, was wir zuinnerst sind, auf unseren Wesenskern. Dabei geht es auch nicht um Kleinigkeiten an der Oberfläche wie zufällig freiwerdende Parkplätze, sondern um Entscheidungen in der Tiefe. Unser Wesenskern und die Tiefe der Welt sind dem Alltagsverstand kaum zugänglich. Dieser erzeugt die Illusion eines isolierten Subjekts inmitten einer Flut von sinnlosen Reizen, während in Wahrheit die Wirklichkeit nur aus der Begegnung von Mensch und Ding hervorgeht.

Was folgt daraus für das Leben? Wer erst einmal erkannt hat, dass er selbst für seine Welt verantwortlich ist, der wird sich nicht länger als bloßes Opfer sehen. Er wird erkennen, dass es wenig Sinn hat, sich über das eigene Pech, die Boshaftigkeit der Zeit und der Mitmenschen zu beklagen. Diese sind ja nicht von uns abtrennbar, als stünden wir unschuldig und rein in einem zeitlosen Nirgendwo. Sondern unsere Welt ist, wie unser Körper und wie die Gegenstände, mit denen wir uns umgeben, Spiegel und Ausdruck dessen, was wir selbst sind. Wir wirken auf die Welt, die Welt wirkt auf uns zurück, und nur aus diesem Wechselspiel entsteht Wirklichkeit.

Die Erkenntnis dieser Tatsache kann, wie die Erkenntnis der eigenen Sterblichkeit, äußerst schmerzhaft sein, besonders wenn sie mit Unglück und Missgeschick verbunden ist. Doch sie gibt uns auch die Möglichkeit, an der Veränderung unserer Welt zu arbeiten, statt es uns in der Opferrolle bequem zu machen. Der erste Schritt ist die Rücknahme der eigenen Projektionen und die Annahme der vollen Verantwortung für das eigene Sein und Dasein. Aus diesem Schritt folgt alles Weitere.

Die sich daraus ergebende Haltung unterscheidet sich von Aktivismus ebenso sehr wie von Quietismus. Wer weiß, dass er durch seinen Wesenskern auf die Dinge und Menschen wirkt, der wird sich davor hüten, durch Begehrlichkeit und hektischen Aktivismus die Dinge zu verdunkeln. Man könnte es, mit einem Imperativ, auch so sagen: Wirf dich nicht auf die Dinge, wirf vor allem deine Schatten nicht auf die Dinge, sondern lass die Dinge geduldig zu dir kommen. „Erst zu denen, die den Dingen nicht mehr nachlaufen, kommen die Dinge.“ (Jean Gebser)

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