Das richtige Leben im falschen (3) – Die Ausrichtung meines Lebens

Die Frage nach der grundsätzlichen Ausrichtung meines Lebens überwölbt alles, was ich täglich tue. Was ist es, das mich im Innersten antreibt?

Alle Einzelheiten, die ich täglich anstrebe, fließen zusammen in einem höheren Ziel. Vieles hat mit Angelegenheiten der täglichen Erhaltung des Lebens zu tun: einkaufen, essen, schlafen, die tägliche Arbeit und vieles andere. Doch zeigt sich bereits in diesen simplen Tätigkeiten ein darüber hinausgehendes Ziel. Man versucht beispielsweise sein Essen ansprechend und gesund zuzubereiten, worin sich ein Ideal ästhetischer Art und ein Ideal des gesunden Lebens zeigen kann. Was im relativen Sinne richtig ist, kann auf ein darüber hinausgehendes Absolutes, das Schöne, das Wahre und das Gute hinweisen.

Friedrich Nietzsche hat den Satz geprägt: „Hat man sein warum? des Lebens, so verträgt man sich fast mit jedem wie?“ (Götzen-Dämmerung, „Sprüche und Pfeile“) Auch ein schwieriges Leben wird also lebbar durch die Ausrichtung auf ein Ziel, ein „Warum“, für das man lebt. Dass damit ein „Warum“ gemeint ist, das über die tägliche Lebenserhaltung und „Notdurft“ hinausgeht, liegt auf der Hand.

Ein Leben, das sich auf verschiedene relative Ziele ausrichtet, ist immer noch besser als ein völlig richtungsloses Leben, das nur zufälligen Regungen und Anregungen folgt und sich wie ein Fähnchen nach dem Wind dreht. In dem Wort „Ausrichtung“ ist ja bereits das „Richtige“ enthalten, und damit auch das Gute. Es käme demnach in erster Linie darauf an, überhaupt eine Ausrichtung zu finden und diese dann immer mehr zu klären und zu reinigen.

Der große christliche Denker Thomas von Aquin sprach davon, dass wir durchaus unseren natürlichen Neigungen nachgehen, sie jedoch (durch die Tugend) reinigen und ihnen auf die rechte Weise folgen sollten. Er sah darin eine Vollendung der Natur durch die Gnade. Das ist nicht weit entfernt von dem, was Sigmund Freud „Triebsublimierung“ nannte.

Man sollte also nicht so rasch auf das Verlangen nach Sex, Macht, Geld und Genuss schimpfen. Diese Strebungen sind zwar meist ungeklärt und können zur Gier entarten. Sie können aber durchaus wichtige Hinweise auf eine über sie hinausgehende, fürs ganze Leben heilsame Ausrichtung bieten. Der Sex etwa kann sich in der Liebe vollenden, in der ehelichen Gemeinschaft und in gemeinsamen Kindern. Macht und Geld können, mit Verantwortung und Wissen verbunden, zum Wohl der Menschen eingesetzt werden. Und der Genuss beim Essen einer guten Bratwurst sublimiert sich im Genuss beim Lesen eines George-Gedichtes oder beim Hören einer Mozart-Symphonie.

In der Theorie der Laster und „Todsünden“ bietet die abendländische Tradition eine tiefgehende Reflexion der Fehlausrichtungen des Lebens. Es gehört sicher zum Schlimmsten, was einem Menschen passieren kann, dass er einer dieser Fehlausrichtungen, etwa der Gier, dem Geiz oder dem Hochmut, gänzlich verfällt und sich die Möglichkeit einer richtigen Ausrichtung des Lebens verbaut. Wer glaubt, dass Laster und „Todsünden“ nur veraltete „mittelalterliche“ Kategorien seien, dem empfehle ich, die Zeitungen einmal unter diesem Aspekt durchzusehen.

Auch in diesem Fall bietet der Tod so etwas wie den „Fluchtpunkt“ unserer Anstrengungen. Wir wissen, dass die Zeit unumkehrbar auf ein Ende zueilt – dass also jede unserer Handlungen uns endgültig formt und in der Grundausrichtung unseres Lebens, unseres Strebens und Sterbens prägt. Ein „Zurückspulen“ ist unmöglich. Die falsche Handlung, der wir einmal oder mehrfach verfallen sind, lässt sich zwar bereuen, nicht aber ungeschehen machen. Sie trägt zur Formung der Grundausrichtung unseres Lebens bei. Im Tod wird diese Grundausrichtung dann endgültig, nicht mehr veränder- oder revidierbar. Es gilt also, jeden Tag diese letzte, endgültige Grundausrichtung im Blick zu haben – und zwar bei jeder noch so „kleinen“, alltäglichen Handlung.

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